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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

563-566

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gaß, Erasmus, u. Walter Groß

Titel/Untertitel:

Studien zum Richterbuch und seinen Völkernamen.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2013. 366 S. = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, AT 54. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-460-06541-3.

Rezensent:

Henrik Pfeiffer

Die hier versammelten Aufsätze gehören zu den Vorarbeiten des Richterkommentars von Groß (HThK.AT, 2009) und sind im Kontext des DFG-Projekts »Wissenschaftliche Kommentierung des Richterbuches« (2002–2008) entstanden. Die profunden Studien von Walter Groß, die in diesem Band als Wiederabdruck erscheinen, bieten für zentrale exegetische Probleme des Richterbuches wichtige Lösungen. Der Neuabdruck im vorliegenden Format dürfte die Weiterarbeit an diesem biblischen Buch insofern erleichtern. Zu den Beiträgen im Einzelnen:
1) »Jiftachs Rolle in der Erzählung von seinem Gelübde. Elemente der Rezeptions- und Auslegungsgeschichte« (8–43, zuerst 2007): Groß sortiert hier auf breiter Textbasis die exegetischen Leitfragen an die Gelübde-Erzählung in der jüdisch-christlichen Auslegungsgeschichte und zeigt, wie namentlich die vorkritische Exegese seit der Antike auf eine »Entlastung Gottes« zielt, indem sie den Text etwa als eine »Schuld-Strafe-Erzählung« liest (Jahwe bestraft das vermeintlich unbedachte Gelübde Jephthas) oder das Brandopfer von 11,31 spiritualisiert und als Opfer der Jungfräulichkeit deutet. Der Wortlaut des Textes lasse indes an das Gelübde eines blutigen Menschenopfers denken, das sich in seiner historischen Welt als ein »verdienstvoll angesehener religiöser Akt« darstellt (36).
2) »Jiftachs Tochter« (44–63, zuerst 2004): Die Rolle dieser namenlosen Figur des Richterbuches wird auslegungsgeschichtlich und in einer – freilich weitgehend synchron ausgerichteten – eigenen Analyse beleuchtet. Zeigte sich die traditionelle Deutung eher am »Innenleben Jiftachs« statt an der Tochter interessiert, so porträtiert Groß diese – auch in Auseinandersetzung mit einschlägigen feministischen Entwürfen – als »selbstbewußte, ihr Schicksal […] frei wählende und souverän handelnde Frau« (59). Zugleich wird deutlich, dass die Erzählung nicht als Ätiologie des Brauches von 11,40 dient, sondern umgekehrt der Brauch eine »abschließende Aufwertung der Tochter formuliert« (59).
3) »Der Gottesbund im Richterbuch. Eine Problemanzeige« (64–71, zuerst 2007): Dieser Beitrag erklärt die Begrenzung expliziter Bundesterminologie auf die späten Stellen 2,1.20 und deren Fehlen in DtrR (= älteste dtr. Redaktion in Jdc, die den sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der Episoden von Ehud bis Simson [!] erstmals herstellt) mit der redaktionsgeschichtlichen Hypothese, wonach DtrR in Ri 2,7–10 ursprünglich an Jos 21,43–45 angeschlossen habe und dabei ein Josua-Buch voraussetze, das noch keine explizite Bundesterminologie verwende. Weiterer Klärung bedürften freilich die literarischen Bezüge zwischen dem »Regentenprogramm« Ri 2,11–19* (DtrR) und dem bundestheologisch geprägten Abschnitt Dtn 31,16–29.
4) »Michas überfüllte Hauskapelle. Bemerkungen zu Ri 17+18« (72–88, zuerst 2010): Tiefer greifenden literargeschichtlichen Lösungen entgegen führt Groß in diesem Beitrag von den vier Bildtermini in Ri 17 f. (psl, mskh, ’pwd und trpjm) lediglich mskh auf spätere Bearbeitung zurück. 17,4* (ohne mskh) und 17,5 lägen auf der gleichen Ebene. Weitere Unregelmäßigkeiten seien erzähltechnisch bedingt. Freilich bleibt auch diese – an sich erfreulich einfache – Lösung nicht ohne Probleme. Weiterer Erörterung bedarf etwa die Funktion von 17,5 nach 17,4*, zumal der Text auch nach Groß nicht einfach historische Sachverhalte wiedergibt. Auch stellt sich die Frage, ob das Fehlen der nota accusativi vor ’pwd in 18,18 textkritisch (durch die lectio facilior der LXX) wirklich besser erklärt wird als durch die Annahme eines Zusatzes.
5) »Prophet und Prophetin im Richterbuch« (89–103, zuerst 2010): Die beiden terminologisch verwandten prophetischen Gestalten des Ri (4: ’šh nbj’h; 6,7–10: ’jš nbj’) begegnen auf literarisch verschiedenen Ebenen mit unterschiedlichen Funktionen. Mit der Darstellung Deboras als ’šh nbj’h verknüpfe ein vor-dtr. Erzähler in Ri 4* die überlieferungsgeschichtlich zu unterscheidenden und in Ri 5 noch unverbundenen Handlungsstränge Debora-Barak-Sisera und Jael-Sisera so, dass Jahwe zwar die Feinde vernichtet, Barak den Siegesruhm aber verspielt (4,8). Der späte Zusatz 6,7–10 reagiere auf den bereits sekundären Einwand Gideons 6,13. Als Entgegnung auf die Klage Gideons begründe der namenlose Prophet die Midianiternot durch Israels Abfall von Jahwe und erkläre angesichts dessen die gründenden Heilstaten Jahwes gegenwärtig als wirkungslos (vgl. 2,1–5 und 10,10b–16*), womit auf später Ebene Ri wieder stärker mit Ex–Jos verzahnt werde.
6) »Wer rettet Israel? Die Vorstellung von der doppelten Kausalität, untersucht im Richterbuch und besonders in der Erzählung von Gideon« (104–114, zuerst 2008): Die vor-dtr Gideonerzählung wie auch DtrR (vgl. 2,6; 2,18) setzen ein Ineinander von göttlicher und menschlicher Aktion bei der Rettung Israels voraus. Die Fortschreibung 6,36–40 löse die doppelte Kausalität jedoch mit Blick auf 7,2–7 zugunsten Jahwes auf.
7) »Keine ›Heiligen Kriege‹ in Israel. Zur Rolle Jhwhs in Kriegsdarstellungen der Bücher Jos bis 2Kön« (115–139, zuerst 2009): Bereits in den profanen Heldenerzählungen von Ri aus frühköniglicher Zeit kündigen sich erste Züge des sogenannten Heiligen Krieges an. Die spätkönigszeitliche, am Königtum Jahwes orientierte Sammlung dieser Erzählungen führe dann unter Aufnahme von Motiven des »Heiligen Krieges« Jahwe als Retter Gesamtisraels ein. Die Rettung geschehe dabei so selbstverständlich, wie das Agieren der Feinde noch grundlos bleibe. Das ändere sich erst bei den Deuteronomisten des 6. Jh.s, die den nunmehr um die Vernichtungsweihe erweiterten Jahwe-Krieg in den Zusammenhang der Geschichte Israels einbänden. Jüngere Deuteronomisten verschärften vor dem Hintergrund der siedlungsgeschichtlichen Realitäten noch die Ausrottungsthematik. Als am Krieg orientiertes Ideal oder eine generelle Lizenz zum Völkermord ließen sich diese Texte gegen den ersten Augenschein nicht lesen.
8) »Das Richterbuch zwischen Deuteronomistischem Ge­schichtswerk und Enneateuch« (140–167, zuerst 2011): Die Überlegungen der für die Redaktionsgeschichte von Gen/Ex–IIReg außerordentlich wichtigen Studie führen nach gründlicher Diskussion der Befunde zu der Annahme, die ältere dtr. Fassung von Ri (= 2,7*–12,15*) verbinde sekundär die beiden dtr Darstellungen Dtn*–Jos* (vgl. N. Lohfink) und ISam*–IIKön* zu einer Größe Dtn–IIKön; Ri 2,7–10 knüpfe an Jos 11,23 an (vgl. R. G. Kratz; anders noch [3]). Das Fehlen von Bezügen auf Ex und Num in Ri* spreche gegen die These, Ri* verbinde erstmals Gen/Ex–Jos und ISam–IIReg zum Enneateuch. Anderseits werde das Dtn auf der Höhenlinie von Dtn 6,12–15; 11,2–7 vorausgesetzt. »Die große Unbekannte in diesen Abwägungen ist das Deuteronomium« (165).
9) »wa=yiqtol für Anknüpfung/Wiederaufnahme im biblischen Hebräisch« (168–188, zuerst 2011): Diskutiert wird das annotierte Phänomen anhand von Gen 18,2; Jes 37,9; Jer 34,10; Gen 21,16 als erzählerisches Stilmittel und an den Beispielen Jer 41,10; Gen 32,23–24; Num 22,21.35; IKön 19,9.13 als literarkritisches Indiz. Die Deutung als stilistisches Mittel biete sich auch bei der Schilderung komplexer Ereignisse wie Schlachten an, da die hebräische Sprache hier schnell an ihre Grenzen stoße. Literarkritische Lösungen würden dadurch obsolet, was Groß an Ri 7,16–22 und Ri 20 demonstriert.
Die Beiträge von Erasmus Gaß, die hier erstmals publiziert werden, erschließen Etymologie und biblische wie archäologische Befunde zu verschiedenen Völkernamen im Richterbuch. Die Er­gebnisse werden jeweils in einer historischen Synthese gebündelt:
10) »Die Amalekiter. Erbfeinde Israels« (189–228): Die keineswegs eindeutigen Befunde führen zu einem entsprechend uneindeutigen Ergebnis: Die Amalekiter kommen einerseits als realgeschichtliche Größe in den Blick (Abkömmlinge der Schasu-Nomaden: vgl. 190; »vermutlich teilweise nomadisierende, vor allem feindliche Gruppierungen, die bezüglich ihrer Herkunft kaum gefasst werden können« [205], »feindlich gesinnte arabische Bevölkerungselemente im Süden des Kulturlandes«: 222). Anderseits vermutet Gaß, »dass es die Amalekiter so, wie sie das Alte Testament beschreibt, wahrscheinlich nie gegeben« hat (222) und Amalek »nie etwas anderes als eine Chiffre« gewesen sei (223).
11) »Die Keniter. Stamm oder Berufsstand« (229–256): Auf der Basis einer etymologischen Herleitung der Bezeichnung aus der Wurzel qjn »gestalten, formen, schmieden« ergebe sich eine soziologische Deutung der Gruppe als »Metallurgen«. Die Verbindung mit dem Eponym Kain (Num 24,22; Ri 4,11) beruhe auf späterer Umdeutung der Keniter als »stammesähnlicher Verband« (233). Die Kainstradition von Gen 4 weise sie als Verehrer des Gottes Jahwe »von alters her« aus (241), der ihnen durch die Midianiter vermittelt worden sei. Archäologische Zeugnisse führten für das 13./12. Jh. in die Kupferbergbaugebiete der Araba und für das 11./10. Jh. in den zentralen Negev.
12) »Maon – Meuniter – Mëiniter – Minäer?« (257–286): Besprochen werden die fünf biblischen Belege Ri 10,11 f.; IChr 4,41; IIChr 20,1; 26,7; Esr 2,50//Neh 7,52 und die Bezeichnung Mu’najja in der Inschrift ND 400. Eine Korrelation mit modernen Ortslagen sei nur eingeschränkt möglich, eine Differenzierung zwischen Meunitern und Mëinitern unnötig (grafische Variante). Deren Identifikation mit den in spätpersischer/frühhellenistischer Zeit im Negev präsenten Minäern durch die LXX entspreche durchaus der Intention des MT, der hier gegenwärtige ökonomische Konflikte retrospektiv in die Texte eintrage.
13) »Die Midianiter. Feinde und Freunde Israels« (287–322): Das Toponym »Midian« (aus mdj »sich erstrecken«) bezeichne die Region südlich von Edom und östlich des Golfes von Aqaba. Von der Spätbronze- bis in die Eisenzeit begegne hier eine »durchorganisierte sesshafte [!] Gesellschaftsstruktur« (297), die archäologisch in einer eigenständigen Keramik sichtbar werde und ihre ökonomische Basis in Landwirtschaft, Handel (Domestikation des Kamels als Voraussetzung des Karawanenhandels freilich erst ab dem 10. Jh.) und Bergbau (seit der Spätbronzezeit unter ägyptischer Protektion in der Araba) gefunden habe. Das kontrastreiche biblische Bild spiegle in seinen positiven Aspekten ein altes Wissen um die midianitische Herkunft Jahwes. Die Negativzeichnung in Ri 6–8 beruhe auf Erfahrungen mit arabischen Gruppen während der zweiten Hälfte des 1. Jt.s.
14) »Perisiter – Hiwiter – Jebusiter. Gentilizia in Zentral- und Nord­palästina« (323–362): Auch wenn die im Titel genannten Volksgruppen historisch nur schwer zu fassen sind, handle es sich dabei – wie auch beim Toponym Jebus – um keine fiktiven Größen. Für die Perisiter lägen Etymologie und Herkunft freilich im Dunkeln. Für die Hiwiter biete sich ein Zusammenhang mit dem kleinasiatischen Koë an, was auf eine entsprechende Herkunft deuten lasse. Schließlich bleibe für die Jebusiter – bei wiederum unklarer Etymologie – ein hethitischer Hintergrund erwägenswert.
Die Überblicke über das einschlägige Material zu den Völkernamen, aber auch die gründlichen philologischen und archäologischen Diskussionen leisten einen wichtigen Beitrag zur Erhellung der oft dunklen Materie. Leider bleiben die Ergebnisse oft vage. Das liegt zum einen an der spärlichen Quellenlage, zum an­dern aber auch am Umgang mit den literargeschichtlichen Fragestellungen, über die nur selten ein klares Judiz des Vf.s durchscheint. Die religionsgeschichtlichen Annahmen zur Herkunft der Jahwe-Verehrung im Umfeld der Midianiter- und Keniter-hypothese (vgl. [12] und [13]) werden mehr vorausgesetzt denn wirklich begründet. Karten und verschiedene Abbildungen er­leichtern die Lektüre.