Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2014

Spalte:

1084–1086

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wahle, Stephan, Hoping, Helmut, u. Winfried Haunerland [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Römische Messe und Liturgie in der Moderne.

Verlag:

Freiburg. i. Br.: Verlag Herder 2013. 488 S. Geb. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-30908-3.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Die grundlegende – oder auch je nach Verständnis grundstür-zende– Reform der Liturgie in der römisch-katholischen Kirche durch das Zweite Vatikanische Konzil evoziert 50 Jahre nach dem Beschluss seiner Liturgiekonstitution allerhand Fragen, die sich nicht nur auf die Entstehung dieser Reform, sondern auch auf ihre Realisierung, Entwicklung und Problematisierung bis hin zur Gegenwart beziehen. Es geht immer wieder um die grundsätzliche Auseinandersetzung mit diesem Konzil und damit auch um das Verständnis der Liturgiereform. Nicht zuletzt ist dieses Ringen erneut deutlich geworden durch ein Motu proprio Papst Benedikts XVI., der die vorkonziliare Messe wieder zugelassen hat.
Die zahlreichen Beiträge dieses Bandes zur römischen Messe und Liturgie im Zusammenhang mit der Liturgiekonstitution werden in vier Abteilungen dargeboten: Es geht um die Liturgische Bewegung und die Messbuchreform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (hier werden vorrangig liturgiehistorische Fragestellungen behandelt zur Entwicklung der Liturgie und der Messbücher, aber auch die Frage, ob es eine »organische Liturgieentwicklung« gibt, wie sie Papst Benedikt XVI. behauptet hat), es geht um die liturgische Ästhetik und theologische Bedeutung des Gottesdienstes (hier werden Fragen nach dem Sakralen gestellt, nach dem Raum, der Gebetsrichtung, der ästhetischen Erfahrung des Glaubens, und ob die Liturgie Quelle des Glaubens sein kann); es geht um die rituelle Performance der Messfeier (hier werden einzelne liturgische Teile oder Rubriken erörtert wie z. B. die Wort- oder Sakramentsliturgie, besondere Gebete, Teile des Rituals) und ab­schließend wird diskutiert, welche Sprache das Messbuch braucht, da es ja aus der lateinischen Sprache ins Deutsche zu übersetzen ist. Auch in dieser Frage hat es allerlei Auseinandersetzungen gegeben aufgrund der Übersetzungsinstruktion »Liturgicam authenticam«.
Trotz vieler exzellenter Beiträge verspricht der Titel des Buches allerdings mehr, als sein Inhalt halten kann: Es geht selbstverständlich im 50. Jahr nach der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils um römische Messe und Liturgie, aber kaum um Moderne. Das wäre eine Herausforderung gewesen, denn der Begriff »Moderne« kann ja auch inhaltlich verstanden werden. Sie wurde aber kaum angenommen. Stattdessen wird im ersten Satz des Vorworts wie auch im ersten Beitrag gleich vom 20. Jh. gesprochen – damit ist lediglich eine Zeitsequenz angezeigt, die nicht auf eine inhaltliche Profilierung aus ist. Die wäre durchaus reizvoll gewesen, hat doch Papst Benedikt XVI. mit der Zulassung der vorkonziliaren Messe nicht nur auf das drohende Schisma mit den Pius-Brüdern reagiert, sondern auch auf die »Moderne«. So greife ich jene Beiträge heraus, die die Moderne nicht ganz aus dem Blick verlieren.
Reinhard Meßner benennt einige Defizite in der Performance der Eucharistie. Er geht von der Ritualforschung aus und blickt kritisch auf die eucharistische Kommunion, den Umgang mit dem rituellen Wort in der Eucharistiefeier und mit den Eröffnungs-riten, wie sie wohl in vielen »normalen« Gemeinden anzutreffen sind. Er stellt grundlegend fest, dass die gegenwärtige Gesellschaft sich immer weiter »entritualisiert«. Das zeige sich auch im Gottesdienstvollzug, da selbst das rituelle Wort als diskursives Wort missverstanden wird. Dies hat die Liturgiekonstitution zwar nicht gewollt, es hat sich aber faktisch entwickelt. Die Kirche hat nicht den Weg der Einübung – und falls notwendig, auch der Wiedergewinnung – des Rituals beschritten, sondern ist der allgemeinen Entwicklung der Entritualisierung westlicher Gesellschaften mitgegangen. Statt dass ein Ritual gefeiert wird, das Meßner als eine formalisierte, körperbezogene Handlung versteht, durch die die Teilnehmenden aus der Alltagszeit transformiert werden und sich erleben in einem Zustand, wie die Welt sein sollte (protologisch) oder wie sie am Ende der Zeit sein wird (eschatologisch), werden diskursive Botschaften vermittelt, selbst »viele Eucharistiefeiern sind durch einen Wortschwall (Verbalismus) bestimmt, durch den – gewiss zumeist in bester Absicht – die Gläubigen belehrt werden sollen.« (320) Es ist erfreulich an diesem Beitrag, dass er über den eigenen konfessionellen Tellerrand hinausschaut und einige lu­therische Gottesdienstgewohnheiten für vorbildlich hält, wie z. B. die räumliche Anordnung des Altars oder die Einhaltung der Ge­betsrichtung versus orientem.
Peter Ebenbauer zeigt Probleme und Perspektiven in spätmoderner Zeit für den Canon Romanus und die neuen Hochgebete auf. Nachdem er sich mit dem Verständnis der neuen Hochgebete, mit der geschichtlichen Entwicklung des Canon Romanus und der Struktur des Hochgebets an sich befasst hat und die Opferthe-matik in den Begriff der Selbst-Übereignung fasst, stellt er diesen Gedanken für den christlichen Glauben in spätmoderner Zeit in den Mittelpunkt. Die Antriebskräfte der Moderne sieht er in den individuellen, sozialen und ökonomischen Freiheitsbestrebungen, die er für anschlussfähig hält an das, was Kirche ist und soll. Durch die Dynamik der Moderne, z. B. durch Fortschritt oder Wachstum, gerät die Kirche selbst aber immer wieder in Aporien zu sich selbst, die den Menschenrechten widersprechen und das Leben vieler Menschen weder menschenfreundlicher noch gerechter machen. »Die Kirche ist daher aufgefordert, christliches Leben und Handeln in kritischer Modernität zu gestalten« (410), was sich aus der Ge­betslogik und Opferlogik des Eucharistiegebets ergibt: Jesus hat sich Gott und den Menschen hingegeben und ist damit nicht bei sich selbst geblieben, sondern zum Anderen gekommen. »In dieser eucharistischen Opferlogik, deren Grundpfeiler Freiheit, Liebe und unbedingte Anerkennung des Anderen sind, erscheint die Macht und Herrlichkeit Gottes gerade nicht als Verlangen nach einer ihm geschuldeten Gabe. Sie erscheint vielmehr als auferweckender und versöhnender Durchbruch zu neuem Leben.« (413) Hat sich das Leben bzw. die Moderne wieder einmal in Aporien verstrickt, zeigt dieses Lebens- und Glaubensmodell die Möglichkeit einer kritischen Moderne auf, die Zukunft hat.
Auch wenn das Versprechen auf eine Auseinandersetzung mit der Moderne, das der Titel dieses Sammelbandes anzeigt, kaum eingelöst worden ist, so wird man doch über die römische Messe und Liturgie, wie sie sich vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt haben, gut informiert.