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Ausgabe:

Oktober/2014

Spalte:

1240–1241

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bremer, Thomas, Gazer, Hacik Rafi, u. Christian Lange [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013. XII, 203 S. m. Abb., Ktn. u. Tab. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-534-23816-3.

Rezensent:

Vasile Hristea

Weil das Wissen um die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition im Westen auf wenige Fachleute und Interessenten reduziert ist und weil dieses Wissen oft ungenau ist, sehen die Herausgeber dieses Aufsatzbandes es als ihre Aufgabe, zu einer erweiterten Kenntnis der orthodoxen Kirchen beizutragen.
Vor dem Hintergrund der ostkirchlichen Traditionen werden einleitend die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition als jene Kirchen definiert, die nicht über die altkirchlichen Patriarchate Alexandreia, Jerusalem und Antiochia, sondern nur über die Vermittlung Konstantinopels (Byzanz) entstanden sind. Zumal dadurch der byzantinische Ritus vielen byzantinischen Kirchen gemeinsam ist, kann man auf der einen Seite von den »vielen« orthodoxen Nationalkirchen und auf der anderen Seite von der »einen« byzantinisch-orthodoxen Kirche sprechen. Diese Einheit in der Vielfalt will das vorliegende Buch anhand verschiedener Darstellungen abbilden, die sich wie folgt systematisieren lassen: 1. Allgemeine Grundzüge der Theologie- und Kirchen­geschichte, 2. Vorstellung einzelner orthodoxer Kirchen, 3. Übergreifende Themen wie Liturgie, Spiritualität, Theologie der Gegenwart, Ökumene.
Der geschichtliche Überblick (Ch. Lange) rekonstruiert die Entwicklung der altkirchlichen Theologie entlang der sieben ökumenischen Konzile, erinnert an das große Schisma (1054) und schildert die Unionsversuche Konstantinopels mit dem lateinischen Westen in Lyon (1274) und Florenz (1439). Darauf folgend (14.–20. Jh.) wird die Geschichte der orthodoxen Kirchen im Osmanischen Reich nachgezeichnet (H. R. Gazer, D. Winkler), welche sich paradigmatisch am Beispiel der Lage des ökumenischen Patriarchats in Konstantinopel nachvollziehen lässt. Führten der Fall Konstantinopels (1453) und der Wille zur Befreiung vom osmanischen Joch vieler orthodoxer Völker einerseits zu einem Bewusstseinsverlust der durch Byzanz verkörperten Einheit, so wird diese geschichtliche Epoche andererseits auch von der Suche nach einer neuen orthodoxen Einheit geprägt.
Die Ereignisse der Geschichte der Gegenwart im Leben der orthodoxen Kirchen werden am Beispiel der orthodoxen Nationalkirchen dokumentiert. Diese Geschichte fällt unterschiedlich aus: einmal als »Wiedergeburt nach der Wende« (Russland, Serbien, Rumänien), als Anstrengung zum Erhalt der kirchlichen Einheit, die sogar den zeitweiligen Austritt aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen benötigte (Bulgarien, Georgien), als Erneuerung und Neustrukturierung (Albanien) und als Umbruch (Slowakei). Während sich die finnischen und die estnischen orthodoxen Kirchen um ein klares Verhältnis zum Moskauer Patriarchat bemühen, feiert die japanische orthodoxe Kirche ihre Wiedervereinigung und die orthodoxen Kirchen Nordamerikas sehen sich mit Wachstumsproblemen wie Überwindung von kulturellen und ethnischen Schranken konfrontiert. Die komplexe Lage in der Ukraine, wo gleichzeitig drei orthodoxe Kirchen und darüber hinaus eine mit Rom unierte Kirche beheimatet sind, rundet diese Darstellung ab.
Einblicke in die Theologie, Spiritualität und das ökumenische Engagement der orthodoxen Kirchen werden vor dem notwendigen Hintergrund der Beschreibung des byzantinischen Ritus als dogmatisches, kanonisches und kulturelles Gesamterbe der Kirche gewährt, welcher folglich zu einer hermeneutischen Voraussetzung wird (B. J. Groen). In einem klaren und gut orientierenden Überblick wird dann die Entwicklung der modernen orthodoxen Theologie als neopatristische Synthese dargestellt und dabei werden die Spannungen innerhalb dieser Entwicklung genannt. Diese ergeben sich aus der Natur der Sache, denn bezeichnet sich die moderne orthodoxe Theologie als neopatristisch, so bleibt zu klären, wie man mit dem patristischen Erbe selbst umgehen soll: traditionalistisch, so G. Florovsky, oder modernistisch, d. h. auf die philosophische Entwicklung der Zeit bezogen, so S. Bulgakov.
Weitere Themen wie Hermeneutik, Frauenordination und Theologie der Religionen dokumentieren die wachsende Aufgabe der gegenwärtigen orthodoxen Theologie, sich mit der Moderne auseinanderzusetzen (A. E. Kattan). Der für die orthodoxe Kirche spezifische Bezug von Kirche und Staat wird in einem weiteren Aufsatz eingehend untersucht (Th. Bremer). Dass hierzu auch die vom russischen Patriarchat im Jahr 2000 veröffentlichten »Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche« als eine »Stellungnahme aus der Orthodoxie« herangezogen werden, ist besonders wertvoll. In anschaulicher Weise wird abschließend das Engagement der orthodoxen Kirchen zur 100-jährigen Ökumene vorgestellt (J. Oeldemann).
Neue Informationen, klare und umfassende Darstellungen, aber auch die Beleuchtung umstrittener Sachverhalte machen dieses Überblickswerk tatsächlich »unverzichtbar«. Der eher rückwärts gerichtete, sehr harmonisierende Blick lässt die Zukunft spannend erscheinen.