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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1431–1433

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Tuval, Michael

Titel/Untertitel:

From Jerusalem Priest to Roman Jew. On Josephus and the Paradigms of Ancient Judaism.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. X, 345 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 357. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-152386-1.

Rezensent:

Sören Swoboda

Die Dissertation Michael Tuvals (Hebrew University, derzeit LMU München) arbeitet anhand eines Vergleiches von Bellum und Antiquitates Wandlungen in der Theologie des jüdischen Historikers Flavius Josephus (1. Jh. n. Chr.) heraus. Er habe sich von einem »Jerusalem Priest« zu einem »Roman Jew« entwickelt.
T. wendet sich gegen eine Negierung jeglicher Unterschiede zwischen Juden innner- und außerhalb Palästinas. Für Erstere seien Tempel und Kult so essentiell gewesen wie für Letztere nebensächlich. Neben Tempel und Land habe die Tora auch in Palästina Relevanz besessen, nicht aber die jüdische Identität definiert oder hätte sie gar als universal bzw. ihre Observanz im Nacheifern biblischer Vorbilder als »divine worship« verstanden werden können. Indem sich Josephus infolge der Tempelzerstörung und der Erfordernis einer Koexistenz mit Rom von einem »proud priest« ( BJ) zu einem »Torah-centered Diaspora Jew« (AJ; Vita; CA) entwickelte, habe auch er den Pfad »from traditionalism to ›orthodoxy‹« be­schritten, den später das rabbinische Judentum wählte (6–12.19.33. 87–89). Das Diasporajudentum habe mithin die in der jüngeren Forschung den Rabbinern zugewiesene Metamorphose von einer Opferreligion zu einer Gemeinschaftsreligion vorweggenommen. Folglich geht es um Josephus als »testcase in the context of the study of the transformation of Judaism from religion of Temple to religion of Torah« (24 f.). Mit der Nähe zu Schwartz (Doktorvater), Martin, Collins und Lightstone, den er vor allem im Verweisen auf die Vielschichtigkeit des Diasporajudentums ergänzt (25.36–41), setzt sich T. produktiv auseinander.
Seine These fußt auf der radikalen Skepsis an Josephus’ autobiographischen Angaben (12–19). So kann das thematisch gegliederte, die ›Theologie‹ des Bellum entfaltende Kapitel 2 resümieren, er habe über keine tiefere Schriftkenntnis verfügt. Die teils seltsamen Tora-Verweise entsprängen nicht vorrabbinischen »moral traditions«, sondern priesterlichem Halbwissen und »local story-telling«. T. ar­beitet dagegen das josephische Idealbild eines sich um Tempel und Kult formierenden Judentums heraus, was u. a. daran ersichtlich werde, dass Josephus nicht die Toraübertretung der Zeloten, sondern ihre Tempelschändung und Inhumanität kritisiert. Kapitel 3 (über 50 % des Buches) skizziert chronologisch, vor allem anhand eines Vergleiches mit den Vorlagen, das veränderte theologische Profil der Antiquitates. Es füge sich ein in die jüdischen »paradigms« der Diaspora, die Kapitel 1 anhand ausgewählter frühjüdischer Diasporaliteratur umreißt: Tora-Observanz, Tugend, göttliche »pro-vidence«, aber auch Gottesdienst, Gebet, Martyrium, Sündenvergebung und Heiligung bei Marginalisierung von Tempel, Kult, Bundes- und Landtheologie sowie Verwischen politischer im Eintragen eschatologischer Hoffnungen (87 f.258 f.). Kapitel 2–3 beinhalten zudem textpragmatische Überlegungen und Forschungsüberblicke. Vor einem Fazit (275–287) bietet Kapitel 4 vorsichtige Erklärungsversuche, warum Josephus’ Spätwerk dennoch seinen priesterlichen Status hervorhebt: Im Kontext des Ansehens römischer und orientalischer Priester in Rom impliziere das Prestige, das Priestertum sei Stabilitätsgarant für das Judentum, und er bringe sich, da Pries-tern in der Diaspora Leitungsfunktionen beigemessen wurden, als »candidate to the leadership of the Jewish people« ins Spiel. Insofern stünde er weder den Pharisäern noch Jabne nahe (268 f.285 f.).
Entwicklungen in Josephus’ Theologie nachzuzeichnen, ist nicht en vogue, doch wer käme neben Paulus für das Aufzeigen konkreter frühjüdischer Transformationsprozesse sonst in Frage? Auch der Appell, Josephus als Zeugen jüdischer Theologie des 1. Jh.s n. Chr. zu würdigen, ist wichtig. Die sorgfältigen, verständlichen, sinnvoll aufeinander aufbauenden, vor allem semantisch, textpragmatisch, literar- und redaktionskritisch orientierten Analysen entwickeln im Einbeziehen eines breiten Spektrums diasporajüdischer Quellen eine bedenkenswerte These, die alte Denkweisen aufbrechen kann – hinsichtlich kategorialer Trennungs- oder Verbindungsversuche jüdischer Identität und Praxis in und außerhalb Palästinas sowie eines vorschnellen Hineintragens des geistigen Hintergrundes der Antiquitates in das Bellum. Anzufragen ist, ob die Wandlungen wirklich mit »dramatic changes« des Josephus (3) oder veränderten Werkintentionen zu erklären sind. Aus der ›Theologie‹ eines Werkes auf die des Autors zu schließen, ist ebenso problematisch, wie daraus eine ›Theologie‹ des Judentums zu entwerfen. Der enkomiastische Fokus auf den Tempel im Bellum kann genauso gut dessen Funktion dienen, Nichtjuden die Tragik der Ereignisse von 70 n. Chr. und die Schuld der Zeloten daran vorzuführen, das Vorstellen der Tora als universal gültig kann wiederum apologetisch statt ›missionarisch‹ fungieren (145 f.258 f.). T.s These steht und fällt an der Plausibilität der aus den ertragreichen, aber in hohem Maße redundanten Textbeobachtungen zu ziehenden Schlüsse. Die Vermutung zu den Führungsambitionen des Josephus ist wie die radikale Skepsis an dessen autobiographischen Angaben anhand des Einbeziehens entsprechender rhetorischer Konventionen zu prüfen.