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Ausgabe:

Juni/2015

Spalte:

656-657

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schneider, Hans-Otto [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Politischer Widerstand als protestantische Option. Philipp Melanchthon und Justus Menius: Von der Notwehr (1547). Lateinisch – Deutsch.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 142 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-03896-1.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Die Fragen des Widerstandsrechts und der politisch-militärischen Notwehr begleiteten den reformatorischen Aufbruch von Anbeginn. Als nach dem Abschluss des Augsburger Reichstages von 1530 jede Hoffnung auf einen friedlichen Ausgleich zwischen Altgläu-bigen und Lutheranern zerstoben und die Irreversibilität der Re­formation offenkundig geworden war, verschärfte sich die Problematik noch einmal beträchtlich. Zu den profiliertesten Positio-nierungen auf protestantischer Seite zählt der in dieser Ausgabe mus­tergültig edierte Text. Sein Herausgeber Hans-Otto Schneider arbeitet seit 2007 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt »Controversia et Confessio« der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
Die erhebliche theologie- und politikgeschichtliche Bedeutung der Schrift »Von der Notwehr« steht außer Frage, auch wenn sie keineswegs, wie der Herausgeber übertreibend notiert, »erstmals [!] […] für eine breite Öffentlichkeit das Recht auf Widerstand gegen den Kaiser ausführlich aus theologischer Sicht begründet« (10). Schließlich hatte Martin Luthers thematisch verwandte »Warnung an seine lieben Deutschen« schon in ihrem Erscheinungsjahr 1531 acht Ausgaben und im Kontext des Schmalkaldischen Krieges (1546/47) noch einmal neun erweiterte Nachdrucke erfahren.
Der hier edierte Text entstand ebenfalls im Schatten dieser für den Protestantismus desaströsen militärischen Konfrontation. Seine erste Fassung stammt aus der Feder des Eisenacher und Gothaer Superintendenten Justus Menius (1499–1558), der darum im Titel wohl auch an erster Stelle hätte genannt werden sollen. In der Kombination biblischer, schöpfungstheologischer, natur- und lehensrechtlicher Argumente legte er »die Rechtmäßigkeit der Vertei-digung des Evangeliums und seiner Bekenner gegen die Verfolgungsmaßnahmen eines Kaisers dar, der seine Zuständigkeit bei weitem überschritten hat« (10). Im Herbst 1546 übersandte Menius das Manuskript mit der Bitte um Durchsicht an Philipp Melanchthon. Inzwischen hatte sich die Kriegslage für den Schmalkaldischen Bund ganz dramatisch verschärft. Melanchthon nahm dem Text etliche polemische Spitzen, auch änderte er an verschiedenen Stellen den Argumentationsgang. In dieser Gestalt wurde die Schrift erstmals in den Druck gegeben; sie erschien Anfang Januar 1547. Indessen setzte Melanchthon seine Revisionsarbeit fort und publizierte Anfang März 1547 eine zweite, abermals mildernd überarbeitete Version, die wenig später dann auch in einer von dem in Wittenberg lehrenden Altphilologen Johannes Marcellus (1510–1551) besorgten lateinischen Übersetzung verfügbar gemacht wurde. Als Verfasser firmierte übrigens in allen Fällen allein Menius.
Die vorliegende Edition bietet in synoptischer Darstellung die lateinische sowie die revidierte deutschsprachige Fassung (23–113). Die Abweichungen vom deutschen Erstdruck sind in einem kritischen Apparat sowie durch den Separatdruck des ursprünglichen, von Melanchthon besonders intensiv überarbeiteten ersten Teils (114–132) ausgewiesen und mühelos nachvollziehbar. In kundiger Umsicht herangezogene Abschnitte aus Melanchthons Briefwechsel (133–138) sowie akkurat erstellte Namen- und Bibelstellenregis­ter (139–142) erleichtern zusätzlich den seminaristischen oder privaten Umgang mit diesem verdienstvollen Band.
Besondere Anerkennung verdient, neben der vorzüglichen Editionsleistung, die vom Herausgeber verfasste »Einleitung« (9–18), die sogar ihrerseits, durchaus untypisch, mit einem Zeilenzähler versehen ist. Darin rekonstruiert der Herausgeber in bündiger Präzision den historischen Kontext, entwirft Personalprofile der beiden Autoren sowie des Übersetzers, bündelt knapp und exakt den Inhalt der Schrift »Von der Notwehr«, bietet die bibliographischen Nachweise und legt von seinen wohlüberlegten editionstechnischen Maßnahmen Rechenschaft ab.
So ist, alles in allem, ein sehr nützliches reformationsgeschichtliches Quellenwerk vorgelegt worden, das den Rezensenten zu einer spontanen Revision seiner Lehrplanung bewogen hat und dessen Halbwertszeit die der meisten im Bannkreis des Jubeljahres 2017 entstehenden Publikationen mit Fug und Recht deutlich wird übertreffen können.