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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1222-1224

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Spieckermann, Hermann

Titel/Untertitel:

Lebenskunst und Gotteslob in Israel. Anregungen aus Psalter und Weisheit für die Theologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. X, 500 S. = Forschungen zum Alten Testament, 91. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-151915-4.

Rezensent:

Markus Saur

Gerhard von Rad hat die Nacherzählung als legitimste Form theologischer Rede vom Alten Testament bestimmt. Wenn nun der Göttinger Alttestamentler Hermann Spieckermann »Anregungen aus Psalter und Weisheit für die Theologie« herausgibt, scheint ein anderer Weg eingeschlagen zu sein: Wer von Anregungen spricht, will nicht nacherzählen, sondern Bedenkenswertes zur Debatte stellen. Dennoch bietet der Vf., was man von einer Nacherzählung im besten Sinne erwarten darf: Er lässt sich auf die Texte ein, gibt ihnen Raum und formuliert ihren Anspruch. Man mag einwenden, dass man Texte aus Psalter und Weisheit nicht nacherzählen könne – wer sich mit dem Vf. auf den Weg begibt, wird eines Besseren belehrt.
Der Band versammelt in drei Hauptteilen zu den Themenfeldern Weisheit, Psalter und alttestamentliche Theologie je sieben Aufsätze, davon einige bisher unveröffentlicht, andere bereits veröffentlicht, nun aber neu bearbeitet und teils auch mit neuen Titeln versehen. – Mit der Einführung »Lebenskunst und Gotteslob« (1–37) wird das Problemfeld der folgenden Studien abgeschritten und der Zusammenhang von Weisheit und Psalter profiliert: Lebenskunst und Gotteslob sind für den Vf. »die beiden Brennpunkte einer Ellipse, die exemplarisch für das Ganze der Gott-Welt-Mensch-Beziehung zu stehen vermag« (5).
Den ersten Hauptteil »Lebenskunst zwischen Kairos und Krisis: Die Weisheit« eröffnet der Beitrag »Bildung – Gottesfurcht – Gerechtigkeit. Die Prologe der Weisheitsbücher« (41–54), in dem die unterschiedlichen Akzentuierungen – Betonung der Gottesfurcht in Prov 1 und Sir 1, Betonung der Gerechtigkeit und der Unvergänglichkeit der Seele in SapSal 1 – herausgearbeitet werden. Der bisher unveröffentlichte Aufsatz »Lebenskunst als Wegkunde. Proverbien« (55–79) deutet zum einen die Sentenzen und zum anderen die Weisheitsreden des Proverbienbuches als Anleitungen zum Wandel in Gerechtigkeit und Recht. In der Studie »Die Satanisierung Gottes. Hiob« (80–92) erschließt der Vf. »Gottes willkürliche Sistierung der guten, von ihm selbst geschaffenen Ordnung, seine Preisgabe des Menschen wider alle menschlich vermeintlich ge­wusste Theo-Logik« (84) als das theologische Thema des Hiobbuches. Unter dem Titel »Suchen und Finden. Das Buch des Kohelet« (93–115) wird Kohelets Erkenntnissuche profiliert: »Das Suchen zeitigt ein Finden, das keine Erkenntnis bringt, sondern nur die erneute Erkenntnis der göttlichen Erkenntnisverweigerung.« (109) Dieser Skepsis wird in dem bislang unpublizierten Beitrag »Der betende Weise. Jesus Sirach« (116–140) das im Sirachbuch greifbare Modell des Weisen als eines Beters gegenübergestellt: »Der dankende und lobende Mensch stellt seine Fragen in Beziehung zu dem Gott, von dem ihm vertrauenswürdige Kunde und Erkenntnis überliefert ist« (135). Unter der Überschrift »Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand. Das Buch der Sapientia Salomonis« (141–164) erschließt der Vf. die Sapientia Salomonis als »erste Theologie der werdenden jüdischen Bibel« (145), die das »Gotteswissen der Weisheit […] in hellenistischem Gewande« (163) biete. Der Aufsatz »Theologie als Philosophie. Das vierte Makkabäerbuch« (165–183) rekonstruiert die Auseinandersetzung des 4. Makkabäerbuches mit der in 2Makk 6 f. angelegten Vorstellung eines Martyriums: »Die wahre Philosophie […] kommt nur dort zu sich selbst, wo sie der als vernünftig erkannten Lebensführung auch unter tyrannischer Negation, im schlimmsten Falle im Angesicht von Folter und Tod, treu bleibt.« (178)
Der zweite Hauptteil »Gotteslob zwischen Nacht und Tag: Der Psalter« wird mit dem Beitrag »Gott und die Nacht. Gottes Welt und das Chaos« (187–196) eröffnet: Dem Vf. zufolge stellen die alt-testamentlichen Texte dem Gefährdungspotential der Nacht die Überwindung des nächtlichen Chaos durch Gott entgegen. In der Studie »Der theologische Kosmos des Psalters. Gottes Thron in der Welt des Betens« (197–216) wird die Gott-König-Theologie als ein zentrales Theologumenon des Psalters rekonstruiert, das in der Vorstellung des festen Herzens als Gottes Thron durchaus nach innen gewendet werden kann. Der Aufsatz »Rede Gottes und Wort Gottes. Die Entdeckung der Antwort Gottes im Gebet« (217–231) zeichnet die Entwicklung der Gottesreden innerhalb der Psalmen hin zu einer Theologie des göttlichen Wortes nach, die »eine Di­mension der wirkmächtigen Präsenz Gottes« (228) eröffne. Der Beitrag »Schweigen und Beten. Von stillem Lobgesang und zerbrechender Rede im Psalter« (232–246) lotet die unterschiedlichen Dimensionen des Schweigens Gottes und des Menschen innerhalb der Psalmen aus. In der Studie »Hymnen im Psalter. Ihre Funktion und ihre Verfasser« (247–269) deutet der Vf. den Hymnus als »theologische Denkform« (255); der Psalter sei als Buch »in den Händen von Priestern und Schriftgelehrten das autoritative Medium, durch das sie Einsicht und Einübung in die Theologie des Gotteslobes gewinnen« (269). Die beiden Beiträge – »Lob Gottes aus dem Staube. Psalm 103 als Quintessenz der Theologie des Gotteslobes« (270–285) und »Lieben und Glauben. Psalm 116 als Schlüssel zur Theologie des Gebetes« (286–299) – führen exemplarisch vor, wie sich auf der Grundlage von Einzelpsalmexegesen weiterführende theologische Einsichten entwickeln lassen.
Im dritten Hauptteil »Alttestamentliche Theologie als Gotteslob und Lebenskunst« wird zunächst unter dem Titel »Das heutige Bild der Religionsgeschichte Israels. Eine Herausforderung alttestamentlicher Theologie?« (303–323) das Verhältnis zwischen religionsgeschichtlicher und theologischer Arbeit am Alten Testament bestimmt, wobei der Vf. betont: »Theologie kann sich in keiner ihrer Disziplinen des Wahrheitsanspruchs ihres Gegenstandes entheben« (318). Der Aufsatz »Yhwh gehört die Welt. Religionsgeschichtliche Voraussetzungen alttestamentlicher Theologie« (324–342) schlägt einen weiten Bogen von der hurritisch-hethitischen Religion über das Baal-Epos aus Ugarit bis hin zu Jhwh, der dem Vf. zufolge »im­mer zu den vorderorientalischen Wettergottheiten gehört« (341) habe. In den beiden folgenden Beiträgen – »Gott im Gleichnis der Welt. Die weisheitliche Wurzel alttestamentlicher Theologie« (343– 360) und »Schöpfung, Gerechtigkeit und Heil. Der Horizont alt-testamentlicher Theologie« (361–380) – nimmt der Vf. wesentliche theologische Positionierungen vor: Zum einen biete weisheitliche Theologie »eine Alternative zur Theologie der Offenbarungsgeschichte« (359) und zum anderen müsse eine Theologie des Alten Testaments die für den alttestamentlich-theologischen Diskurs grundlegende Trias Schöpfung, Gerechtigkeit und Heil bedenken. Der Aufsatz »Der nahe und der ferne Gott. Das Spannungsfeld des Gotteslobes« (381–397) knüpft an Überlegungen zur Theologisierung des göttlichen Wortes aus dem zweiten Hauptteil an und setzt Vorstellungen des Nahens und der Nähe Gottes mit der Rede von der Ferne Gottes in Beziehung. Der Aufsatz »Gott und Mensch am Markt. Das Spannungsfeld der Lebenskunst« (398–417) geht mit Blick auf die Proverbien und Kohelet sowie die paulinischen Briefe und die Synoptiker den »gezielt gesetzten Brechungen der Sprache der Ökonomie« (417) nach. Unter dem Titel »Der Retter ist nah. Die Verheißung alttestamentlicher Theologie« (418–435) rekonstruiert der Vf. ausgehend von Psalter und Jesajabuch Vorstellungen der nahenden Gerechtigkeit und zeigt anhand der Sa­pientia Salomonis, wie am »Ausgang des Alten Testaments […] alle Elemente für die Heilsvisionen des Neuen Testaments bereit« (435) liegen.
Auf dem beschrittenen Weg durch Weisheit und Psalter kommt man nicht umhin, den Texten und den Interpretationen des Vf.s nachzudenken. Seine theologisch engagierten Nacherzählungen konstituieren durchaus kein einheitliches grand récit – dafür sind die behandelten Themen zu vielfältig. Der Vf. arbeitet aber konsequent heraus, dass die alttestamentlichen Texte mit ihren unterschiedlichen Positionen den Anspruch erheben, in ihrer Zeit und über sie hinaus als Anregungen, ja mehr noch: als kräftige Impulse zur theologischen Debatte wahr- und ernstgenommen zu werden.
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (439–471) sowie ein Bibelstellen- (472–494) und ein Sachregister (495–500) schließen den für die weitere Arbeit an Weisheit und Psalter unverzichtbaren Band ab.