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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1314-1315

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dienberg, Thomas, Eggensperger, Thomas, u. Ulrich Engel[Hrsg./Eds.]

Titel/Untertitel:

Himmelwärts und weltgewandt. Kirche und Orden in (post-)säkularer Gesellschaft/Heavenward andWorldly. Church and Religious Orders in (Post) Secular Society.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2014. 320 S. Geb. EUR 42,00. ISBN 978-3-402-13020-9.

Rezensent:

Otmar Meuffels

Mit einem internationalen Symposium in Freising bei München (2013) wurde ein zweijähriges Forschungsprojekt (»Fremde Heimat Welt«) mit verschiedenen Vorträgen zum Abschluss gebracht, was die drei Herausgeber, Professoren für Theologie der Spiritualität an der PTH Münster, Hochschule der Kapuziner, in Buchform (deutsch/englisch) präsentiert haben.
Mit 20 Vorträgen bzw. Artikeln in Vorlesungen oder Seminaren wurde das Verhältnis zwischen einer säkularen Welt und der Kirche bzw. Orden in verschiedenen Perspektiven im Umfeld von Pluralismus, Gesellschaft und Individualität thematisiert, damit die Kirche eine welthaftige Pastoral gestalten kann und zugleich die Orden ihre Positionen in der modernen Welt einnehmen können. Dazu wurde das umfassende Thema bedacht in sechs Bereichen separiert: »I. Theoretische Welten«; »II. Globale Welten«; »III. Franziskanische Welten«; »IV. Moderne Welten«; »V. Kirchliche Welten«; »VI. Empirische Welten«.
Diese Veröffentlichung ist gleichsam ein farbiges Kaleidoskop, das bei perspektivischen Bewegungen zu neuen Konstellationen führt. Dabei zeigen sich scharfe, aber auch verschwommene Bilder, die durch den jeweiligen Blick der Autoren unter bestimmten Erwartungen bei abstrakten Reflexionen, spirituellen Impulsen oder praktischen Erfahrungen gesehen werden. Allerdings sind vier, durchgehend bedeutsame Reflexions- und Interpretationslinien eigens zu markieren:
1. Linie: Das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und einer säkularen Gesellschaft in Europa, in den USA oder in Südamerika ist gänzlich anders zu sichten: Während in Europa vielfach und deutlich zwischen religiös und säkular getrennt wird, wird hingegen in »den USA […] letztlich nicht über Säkularismus (secularism) diskutiert, sondern über Pluralismus«, und die religiös geprägte Gesellschaft der USA ist durch die Pluralität von Weltanschauungen und Religionen gekennzeichnet, was ihre Integrationskraft ausmacht (Eggensperger, 250; vgl. auch Casanova, 48.50). Das könnte ein bedeutsamer Impuls für eine theologische, gesellschaftliche Diskussion in Europa sein.
2. Linie: Es ist kein eigenes Separationsprogramm zwischen Glaube und Säkularität auszufalten, vielmehr sind bei produktiver Sichtweise auf die religiös-säkularen Beziehungen Anerkennungsvollzüge zu entwickeln, und zugleich ist der Säkularismus neu zu bewerten (vgl. Jakeli, 79; Montoya, 120; Kohl, 271).
3. Linie: In einer nord-europäischen, individualistisch-nomadischen Religiosität, jenseits von Institution, sind religiöse Kommunikationsformen im Pluralismus der Moderne auszuprägen (vgl. Lisak, 132 f.; Dienberg, 200; Cortesi, 230).
4. Linie: Forderungen der modernen Welt an gläubige Menschen, hier besonders bei Ordensmitgliedern, dürfen zu keinen blutleeren, reinen Funktionen führen, wozu eine inkarnatorische, kontextuelle Spiritualität im Verhältnis von Individuen und monastischer Gemeinschaft inmitten einer bürgerlichen Sozialität auszubilden ist (vgl. Kohl, 263 f.). Interessant entfaltet U. Engel dazu die »als-ob Philosophie« von G. Agamben, um in philosophisch-theologischer Transformation etliche Thesen zur Ordensexistenz in säkularer Gesellschaft auszuformulieren (vgl. Engel, 301–316).
Im Blick auf die konkrete Durchführung finden sich auf einem theoretischen Fundament (I: »Theoretische Welten«) interessante Analysen der Soziologie auf hohem Niveau mit sehr hilfreichen und weitreichenden Gedanken: »Eine Möglichkeit, die komplizierten und produktiven Arten des Dialogs zwischen religiösen und säkularen Weltanschauungen zu entdecken, ist es, sich außerhalb des Bereiches der Politik und etablierten Institutionen zu bege-ben und zu betrachten, wie diese Ansichten innerhalb konkreter menschlicher Beziehungen praktiziert werden« (Jakeli, 81 f.), weshalb Casanova eine »Offenheit gegenüber allen Arten religiöser und weltlichen Optionen« (Casanova, 53) fordert. Die grundlegende, theologisch-trinitarische Begründung einer »Spiritualität der Ge­meinschaft« bei J. Corriveau ist recht enttäuschend, da die Argumentation allein in päpstlichen Schriften und Ordensdokumenten gründet. Hier würde eine ausgewiesene Trinitätstheologie (z. B. Balthasar) mit Sendungstheologie samt exegetischen Befunden eine größere Tiefe erreichen. Wenn in Sichtung »globaler Welten« (II) sowohl osteuropäische als auch lateinamerikanische Perspektiven informativ bedacht werden, ist hingegen der Artikel von Hellman mit seiner Sakramententheologie von Bonaventura (157–175) im generellen Buch-Thema nicht recht einzuordnen. Die »franziskanischen Welten« (III) bieten einen eigenen Zugang, der zugleich Einladung zu einer neuen Sprachschule in (post-)säkularer Welt (vgl. Dienberg, 203) ist, um in den »modernen Welten« (IV) den Glauben im öffentlichen Leben zur Sprache zu bringen (vgl. Cor-tesi, 230). Dazu qualifiziert T. Eggensperger positiv die Säkularität als »Schutzraum der Begegnung und Kommunikation« (252) aller Menschen, damit sie »sich interpersonal und sozial koordinieren können« (254). Die Aussagen zu den »kirchlichen Welten« (V) bei Plattig (vgl. 295 ff.: Individuum und Gesellschaft) und Anderau (vgl. 327 ff.: Medien) sind eher Impulse; hingegen sind die Thesen zum Ordensleben (vgl. Engel, 307–326) sowie die Berichte zur Pastoral in New York (vgl. Nuzzi, 339–363) sehr anregend. Bei den »empirischen Welten« (VI) zeigt sich bei der Befragung aller deutschsprachigen Bettelorden die Überraschung, scheinen die Ordensmit-glieder »weniger durch Charakteristika der Säkularisierung, der Entchristlichung und der Entkirchlichung bestimmt zu sein, vielmehr durch eine massive […] Pluralisierung und Individualisierung im Rahmen […] der ›Verkirchlichung‹« (vgl. Ebertz/Segler, 374).
Wie beschrieben ist das Buch eine Art theologisches Kaleidoskop mit säkularem Bewegungsdreh, das zu neuen Bildkonstellationen führt. Das aktuell-brisante Verhältnis von Glaube und Säkularität sollte stets neu in neuen Blickpunkten bedacht werden, wie bei dieser Veröffentlichung. Bei weniger interessanten Aussagen mit Schwächen sollte man einfach flexibel die Perspektiven wechseln – wie bei einem theologischen-säkularen Kaleidoskop.