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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1352–1353

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mooren, Thomas

Titel/Untertitel:

Wenn Religionen sich begegnen. Glauben und anders glauben in einer globalen Welt.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2014. 189 S. = Narrative Missiology, 2. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-643-90593-2.

Rezensent:

Andreas Goetze

Die Perspektive wechseln, den Blick weiten über den eigenen Horizont hinaus: keine Selbstverständlichkeit. Neue, ungewöhnliche Blickwinkel muten die Erzählungen und Reflexionen, die Thomas Mooren in diesem Aufsatzband vereint, einer westlich-europäischen Sichtweise zu. Die westliche Perspektive ist es bisher eher gewohnt zu bestimmen, Deutungen über »den Anderen« festzuschreiben, oftmals abwertend (wie im Mythos vom »edlen Wilden«, 57). Viele Jahrhunderte lang haben sich Einstellungen und (theologische) Deutungsmuster über »die Anderen« und die nichtchrist-lichen Religionen festgesetzt und sind bis heute nicht überwunden. Einstellungen derer, die es »immer schon besser wussten«, ohne zunächst respektvoll hinzuhören und das Fremde erst einmal als Fremdes zu würdigen und aufzunehmen.
M. möchte beides, Religion wie Globalisierung, nicht mehr »nur im Bannkreis von Macht und Unterdrückung, Orthodoxie und Häresie, Heil und Verdammnis« bedenken, sondern sich auf den Weg machen, das »Eigene« mit dem »Fremden« in »aufgeschlossener Neugier« ins Gespräch zu bringen (10). Es geht ihm nicht nur um einen intellektuellen Gedankenaustausch, sondern um ein existenzielles In-Beziehung-Treten, bei dem sich Gott bzw. das, was den Menschen unbedingt angeht, für beide in der Begegnung überraschend neu erschließt. So erzählt M. anschaulich über ein geplantes Kirchweihfest (13–17), das zugleich genutzt wird, um einen kleinen Jungen zu beschneiden, »bedeuten doch beide Riten einen Neubeginn« (15).
M. legt Begegnungsgeschichten von Menschen verschiedener Religionen und Kulturen vor, die zugleich auch Erfahrungen aus der Missionsgeschichte erzählen. Damit zielt er mit seinem narrativen Ansatz auf die Erfahrungsebene (»Religion ist ein Erfahrungsprozess«), die sich dem Anderen, dem Fremden wirklich aussetzt und so auch selbstkritisch das Eigene reflektiert. Seine erzählende Theologie führt die Leser nach Papua-Neuguinea, auf die Philippinen, nach Lateinamerika, Andalusien und Irland. Indianische, hinduistische, islamische Perspektiven werden ins Gespräch gebracht mit christlichen Überzeugungen.
Die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität. Durch den Erzählstil wird nicht immer wirklich deutlich, worauf M. abzielt. Dennoch wird erkennbar, wie die Kontexte zu ganz verschiedenen Zugängen zur Wirklichkeit und zu unterschiedlichen Fremd- und Eigenzuschreibungen führen. Nur wer bereit ist, seinen eigenen Verstehenshorizont selbstkritisch zu befragen, wird Interaktionsprozesse zutreffend analysieren können. Dass diese interkulturellen und interreligiösen Begegnungen dabei oftmals von Fragen nach Macht und Ohnmacht, nach Herrschaft und Gewalt be­stimmt sind, darauf machen die Beiträge von M. aufmerksam. Sie laden ein, mit einer größeren Sensibilität und einer emphatischen Achtsamkeit die anderen, fremden Welten wahrzunehmen. Ko­lumbus ist dann nicht mehr allein der Entdecker und Held, sondern derjenige, mit dem die Invasion und Unterdrückung der Ureinwohner begonnen hat (55–71).
M.s Beiträge machen deutlich, dass wir das Heil stets nur in »irdischen Gefäßen« haben, wie es Paulus formuliert: »Synkretismus« kann nicht mehr als Kampfbegriff dienen, sondern macht vielmehr darauf aufmerksam, wie anpassungsfähig der christliche Glaube gewesen ist und wie sich das Christentum in einer Vielfalt kulturell-religiöser Formen immer wieder neu zur Sprache ge­bracht hat (38 f.). Wie spannungsvoll, irritierend und bereichernd zugleich solche Inkulturationsprozesse ablaufen, zeigt M. in seinem Beitrag zur »sori-money« auf Papua-Neuguinea (41–54). Wie kann der soziale Frieden wiederhergestellt werden, wie kann eine Entschuldigung, eine Aussöhnung gelingen, ohne in den Teufelskreis von Vergeltung und Rache hineinzukommen?
Stark sind die Passagen, in denen M. den Erzählstil mit seinen theologischen Reflexionen anreichert, insbesondere der Beitrag zum Verhältnis von Herrschaft und Barmherzigkeit im Islam und zur Bedeutung Muhammads im innerislamischen Diskurs (121–140). Davon hätte der Band einige mehr vertragen können. Theologisch anregend sind seine Ausführungen zu der Frage, wie die Aussage des Paulus im Römerbrief, dass das Heil »zunächst für die Juden, dann auch für die Heiden« (Röm 1,16 f.) gekommen sei, im Kontext religiöser Erfahrungen in Papua-Neuguinea zu verstehen sein könnte (29 ff.). Solche ungewöhnlichen Perspektiven machen das Buch insgesamt lohnend, denn nur aus der Irritation erwächst neues Denken – und hier ist die westlich geprägte Theologie noch am Anfang eines Lern- und Erfahrungsweges, sich den globalen Herausforderungen in der Begegnung mit den anderen zu öffnen und dabei die eigene Missionsgeschichte selbstkritisch zu reflektieren.