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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

215-217

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kaufhold, Hubert

Titel/Untertitel:

Franciscus Peña und der Inquisitionsprozeß nach seiner »Introductio seu Praxis Inquisitorum«.

Verlag:

Sankt Ottilien: EOS Verlag 2014. XXXIX, 384 S. m. Abb. = Münchener theologische Studien, 3: Kanonistische Abt., 67. Lw. EUR 48,00. ISBN 978-3-8306-7684-3.

Rezensent:

Martin Ohst

Nach katholischer Lesart ist der Glaube die vom Willen geleitete Zustimmung des Verstandes zum umfassenden Wahrheitsanspruch und zu den einzelnen Kundgaben der kirchlichen Lehrautorität. Dieser Glaube ist heilsnotwendig, und er ist die Pflicht eines jeden Getauften. Der Kirche obliegt es, alle Getauften zur Erfüllung dieser Pflicht anzuhalten – damit diese zum Heil gelangen und damit der als Summe von Satzwahrheiten verstandene Glaubensinhalt in voller Reinheit erhalten bleibt.
Jedem Christenmenschen können bei der Aneignung des Glaubensinhalts Fehler unterlaufen. Das ist nicht schlimm, solange generell die Bereitschaft da ist, sich von den zuständigen Instanzen der lehrenden Kirche korrigieren zu lassen. Beharrt allerdings jemand trotz besserer Belehrung auf seiner aus kirchlicher Perspektive verfehlten subjektiven Einsicht, dann wird aus der lässlichen Sünde des bloßen Irrtums das Verbrechen der Häresie. Dieses wiederum muss abgestellt und bestraft werden – einmal um des Häretikers selbst willen, dessen Christenrecht es ist, dass die Kirche ihn in den heilsamen Glaubensgehorsam zurückführt, sodann um der Kirche als Ganzer willen, damit der Krebsschaden der seelenverderbenden Irrlehre sich nicht ungehindert fortfrisst.
Die Wurzeln dieser Grundanschauung reichen bis ins Urchris­tentum zurück; zur Reife gelangte sie im 13. Jh., als sich aus ihr angesichts der großen häretischen Herausforderungen das Ketzerrecht ausbildete: Die Konstruktion eines Entsprechungsverhältnisses zwischen Häresie und crimen laesae maiestatis (Hochverrat) brachte ein juristisch stringent durchdachtes Rechtsverfahren zum Um­gang mit Häretikern hervor – den Ketzer-Inquisitionsprozess.
Eine zweite Blütezeit für diesen Zweig papstkirchlicher Jurisdiktion brach an, als das entstehende römisch-katholische Partialkirchentum sich in der Selbstabschließung wider die Einsprüche der Reformation verfestigte und seine Reihen fester schloss: Nun galt es zwar nicht mehr die religiös-intellektuelle Hegemonie im ganzen Abendland, aber umso dringlicher den Schutz des eigenen geistig-geistlichen Territoriums wider innen entstehende und von außen eindringende Kräfte der Zersetzung zu sichern.
Franciscus Peña (ca. 1540–1612), ein spanischer Weltgeistlicher, dessen Erinnerung in seinem Heimatort noch in der Gegenwart gepflegt wird (113 f.), gehörte zur zweiten Generation der Experten, welche sich der hiermit verbundenen Aufgaben im Dienste der 1542 durch Papst Paul III. gegründeten Congregatio sanctae Inquisitionis haereticae pravitatis, also der heutigen Kongregation für die Glaubenslehre, annahmen. Seit 1577 ständig in Rom, war Peña in unterschiedlichen kurialen Behörden tätig und wirkte u. a. an der Neuausgabe der Vulgata mit (100). Seit 1606 war er dann als Kon­sultor bzw. Auditor, also als Sachverständiger, der Inquisitionsbehörde beigeordnet; die Vollmitgliedschaft im Kardinalsrang blieb ihm versagt (110–112).
Neben seiner praktischen Wirksamkeit hat der offenkundig immens fleißige Mann, dessen geistiges Profil durchaus deutliche humanistische Züge aufweist (100), sich auch um die wissenschaftlich-juristische Reflexion seiner Alltagsarbeit verdient gemacht: Er hat mehrere ältere juristische Inquisitoren-Handbücher neu ediert und mit Erläuterungen geschichtlichen wie rechtsdogmatischen Inhalts versehen, und er hat vor allem ein eigenes niedergeschrieben, die »Introductio seu praxis Inquisitorum«. Er hat es als handgeschriebenes Fragment hinterlassen, das aber offenkundig für derart gewichtig gehalten wurde, dass es 1631 im Druck erscheinen konnte.
Hubert Kaufhold, seinerseits pensionierter Richter mit einem ausdrücklichen Interesse an Prozessrecht (XV.297), hat die Handschriften und die Drucke kollationiert und präsentiert Peñas Werk jetzt in einer sehr textnahen, mit Zitaten reich durchsetzten Paraphrase auch Lesern, die des Lateinischen nicht mächtig sind (157–296). Vor deren Augen entrollt sich also nun das vollständige Bild eines frühneuzeitlichen Inquisitionsverfahrens, wie es sich der ju­ristisch reflektierten Wahrnehmung eines zeitgenössischen Praktikers seinem Sollgehalt nach darstellte. Mit wohligem Schauer zu lesende Histörchen von sadistischen Schergen oder von geilen Pfaffen, die ihre Lust an leicht bekleideten jungen Frauen büßen, sucht der Leser allerdings vergeblich. Was er findet ist eben – Strafprozessrecht, und das ist unglaublich weitschweifig und dröge. Bis in die kleinsten Details hinein legt Peña dar, wie die unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten qualifiziert sein müssen, wie sie sich in welchem Stadium der Untersuchung und des Prozesses zu verhalten haben, welche vorgegebenen Regeln und Schemata sie dabei zu beachten haben und wie das alles möglichst detailgetreu protokolliert werden muss. Jede Seite prägt es dem Leser von Neuem ein: Hier soll dem Recht zur Durchsetzung verholfen werden, auch dem des Verdächtigen bzw. Angeklagten!
Sicher, diejenigen Menschen, die im Zeitalter der sich verfestigenden konfessionellen Welten in dieses institutionelle Räderwerk hineingerieten, weil sie, wissentlich oder unwissentlich, in Konflikt mit den Normen katholischer Rechtgläubigkeit und mit deren Wahrern und Auslegern geraten waren, werden all das als das Walten eines feindseligen Repressionsapparats wahrgenommen und erlitten haben. Sofern es ihnen nicht gelang, den Verdacht, in den sie geraten waren, als Resultat von Missverständnissen zu er­weisen, konnten sie Ehre und Leben nur retten, indem sie sich samt ihren subjektiv wohlerwogenen Einsichten der kirchlichen Lehrautorität unterwarfen. Aber die historische Wahrnehmung geht in die Irre, wenn sie sich einseitig die Perspektive dieser Opfer zu eigen macht. So sehr sie ihnen das Verstehen und die Würdigung schuldet – sie muss ebenso auch die Beweggründe und die Leitgedanken zur Kenntnis nehmen, die für die Inquisitoren leitend waren. Sie versuchten, die – wie sie ehrlich glaubten – der Papstkirche anvertraute Glaubenswahrheit unversehrt zu erhalten, und sie hielten darauf, dass dabei die Vorgaben des Rechts auf nachprüfbare Weise geachtet wurden. Sie wollten die Wahrheit schützen, wussten sich dabei jedoch an die Einsicht gebunden, dass das nicht durch wahllose Willkür oder durch reinen Terror geschehen kann, sondern eben nur auf dem Wege des Rechts, das, wie die Gegenstände des Heilsglaubens selbst, in der einen göttlichen Wahrheit gründet.
Das alles lässt sich in so eindrucksvoller wie unspektakulärer Deutlichkeit an einem Mann wie Peña ablesen. Die Spuren, welche dessen Leben in den Quellen hinterlassen hat, präsentiert K. in erschöpfender Ausführlichkeit. Er listet, immer die Quellenheu-ristik und -kritik in den Erzählungszusammenhang verflechtend, die Stationen seines Lebensganges und seiner Berufskarriere ebenso auf wie seine literarischen Werke. Und zwischen diesen einleitenden Ausführungen zu Peña und der Darstellung seines Hauptwerks gibt er auch noch eine knappe Geschichte der Ketzerinquisition seit deren Anfängen. Dieser Teil ist allerdings nicht wirklich befriedigend geraten, denn auch hier herrscht allzu sehr der strafprozessrechtliche Gesichtspunkt vor, und die inhaltlichen Streitpunkte, um die es den Ketzern und ihren Bekämpfern ging, bleiben allzu schemenhaft und vage.