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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

230-232

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hernández, Jean-Paul SJ

Titel/Untertitel:

»Der Herr ist wahrhaft auferweckt worden«. Die post-dialektische Ostertheologie Heinrich Schliers.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2013. 426 S. Geb. EUR 72,95. ISBN 978-3-631-62808-9.

Rezensent:

Hans-Anton Drewes

Es ist ein erfreuliches Zeichen, dass Heinrich Schliers Werk immer noch zur Aneignung und zur Auseinandersetzung anregt. Die Untersuchung von Jean-Paul Hernández zielt auf ein Zentralthema Schliers und zugleich auf eine Grundfrage der heutigen theo-logischen Diskussion. Es handelt sich um eine Dissertation, die schon 2005 von der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen angenommen worden ist. 2013 ist sie, anscheinend ohne Revision und Lektorat, in den Druck gegangen. Man scheut sich, die Druckfehler und die sprachlichen und formalen Versehen dem Autor anzukreiden. Aber man denkt doch wehmütig daran, dass es einmal das Adjektiv »buchdeutsch« gab und dass es sich nicht auf den unbereinigten Druck eines Textes bezog. Auch die Hochschule und der Verlag haben hier eine Aufgabe versäumt. Denn der Stil der Arbeit, der sozusagen durch Masse und Tempo gekennzeichnet ist, hätte als Komplement gerade sprachliche und technische Präzision erfordert.
Doch bringen die Anmerkungen, die fast jede Seite zur Hälfte füllen, oft nicht den erwarteten notwendigen Beleg für ein Zitat oder für eine Interpretation, sondern – gerne durch »interessant ist auch« eingeleitet – Assoziationen aus den Schriften weiterer Autoren – (fast) jede interessant, aber doch kein Ersatz für den präzisen Nachweis des Dargelegten aus den behandelten Texten oder für dessen zusätzliche Erläuterung aus einem ergänzenden Blickwinkel. Stattdessen herrscht oft ein »dilungarsi ›su tutto‹«, von dem in einem der vielen herangezogenen Texte die Rede ist (76, Anm. 287). Wäre das Thema allgemein »Aspekte der Auferstehung Jesu in der Theologie des 20. Jahrhunderts«, überließe man sich freudig der enormen vielsprachigen Belesenheit H.s und seinen außerordentlichen Gaben für komprehensive Synthesen. Es sollte aber darum gehen, den besonderen Beitrag Schliers zum Verständnis der Botschaft von der Auferweckung Jesu Christi zu erhellen und für die heutige theologische Diskussion, die dieser Erhellung gar sehr bedarf, fruchtbar zu machen (vgl. 12). Dieser Beitrag Schliers liegt jedoch nicht in der Interpretation der Auferstehung in der Perspektive der, wie H. es nennt, »neueren Kategorien« »Metapher« oder »Symbol« (12). H. räumt das mitten in längeren Ausführun-gen zu diesen Begriffen auch ein (70). Denn dass er aufgrund der schlichten Feststellung Schliers, dass ἐγείρω und ἀνίστημι im Zusammenhang der Osterbotschaft metaphorisch gebraucht werden, Schlier »wieder einmal der jüngeren Forschung voraus« sieht, »die die ›Metapher‹ zur Angelkategorie der Sprachwissenschaft und der modernen Hermeneutik gemacht hat« (70 f.), ist als eine der Verzeichnungen zu betrachten, die häufiger begegnen. Die Begriffe, die Schlier selber ins Spiel bringt, wie »Sage« (63.300), »Legende« (70, Anm. 262) und »Chiffren« (99), werden leider nicht entfaltet. Mit ihnen könnte sich die entscheidende Einsicht Schliers erschließen und vertiefen, dass es in der Verkündigung der Auferweckung wie im biblischen Kerygma insgesamt um die Einheit von Ereignis und Wort geht: » Ῥῆμα meint wie dabar das Geschehen im Blick darauf, daß es als Ereignis den Menschen anspricht« (H. Schlier, Besinnung auf das Neue Testament, Exegetische Aufsätze und Vorträge II, 1964, 41, Anm. 16) – diese grundlegende Einsicht wäre so zu erarbeiten und in ihrer Tragweite zu entfalten, dass ihre klärende Kraft für die Fragen um die Theologie der Auferstehung fruchtbar werden kann. Diese Aufgabe wird verfehlt, wenn H. auch an diesem Punkt das berührte Problem durch eine Reihe von Verweisen auf andere Autoren und Positionen geklärt sieht, die hier in kaleidoskopischer Folge von Gadamer über Peirce, mit dem es interessante »Berührungspunkte« gebe, zu Ricœur reicht (319, Anm. 1425, vgl. 62–64).
Es zeigt sich, dass H. trotz des Anspruches, nicht eine theologiegeschichtliche, sondern eine dogmatische Arbeit vorzulegen, nicht mit Schlier »ad modum Schliers« »auf die Sache selbst hinausdenkt« (12), sondern sich an einem aktuellen Spektrum von Thesen und Hypothesen über die Sache orientiert. Das Thema der kritischen Auseinandersetzung Schliers mit Bultmann, die H. mit Recht als Ausgangspunkt und als Mitte von Schliers Begründung einer »postdialektischen Ostertheologie« (vgl. 81.97.195.296.308.378) darstellt, wird durchaus zutreffend auf die Formel gebracht: »Faktum und Bedeutung sind untrennbar, aber untereinander unreduzierbar« (216). Und es wird auch zutreffen, dass Bultmann, wenn man es so ausdrücken will, das Faktum auf die Bedeutung reduziert. Es ist aber m. E. nicht richtig, wenn Schliers Kritik und Korrektur Bultmanns so gelesen wird, als reduziere er nun umgekehrt die Bedeutung auf das vorgängig und unabhängig wahrgenommene Faktum.
Wäre mit dieser Umkehrung der Position Bultmanns wirklich etwas gewonnen? Jedenfalls scheint das »Post-Dialektische« im Denken Schliers nicht einfach in dieser entgegengesetzten Reduktion zu liegen, auf die insbesondere die Darlegungen zum »leeren Grab« in Schliers Ostertheologie hinauslaufen. Dass Schliers erste Überzeugung in dieser Frage die »Faktizität« des leeren Grabes sei, ist zumindest eine Vergröberung und damit Sterilisierung der von H. zitierten Aussage Schliers über die in den Texten erkennbare »absichtslose und unbetonte Überzeugung von einem Faktum« (211).
Dem – und nicht der Behauptung einer Faktizität (»die Objektivität des leeren Grabes steht fest« [216]) – entspricht die »zweite Überzeugung Schliers«: »das leere Grab wird nicht als ›Beweis‹ der Auferstehung vorgebracht, sondern als Hinweis auf sie und als Zeichen« (214), das aber, wie H. später doch hinzufügt, »nur für die-jenigen« gilt, »die an das Kerygma schon glauben« (218, vgl. 217). Wenn H. schließlich zuspitzt: Schliers »Bezeichnung des leeren Grabes als ein ›Faktum‹ versiegelt seine realistische Auffassung der leiblichen Auferstehung des Individuums Jesus« (228, Anm. 935), dann steht das nicht nur zu Schliers Aussage in Spannung, dass vielmehr »die Erscheinung des Auferstandenen das Siegel auf die Auferstehung ist« (301), sondern legt Schlier auch auf die eine Seite einer Alternative fest, die zu überwinden sein theologisches Anliegen war und weiter eine Aufgabe ersten Ranges bleibt.
Wer einmal in Schliers Hörsaal gesessen hat, dem wird die Stimme konzentrierter, ja andächtiger Besinnung nicht aus dem Ohr gehen. Ob man sie anders aufnehmen und ihren Reichtum anders zur Geltung bringen kann, als indem man sich »zu eigener Besinnung bewegen läßt« (Schlier, a. a. O., 376)? In dieser Hinsicht genügt die vorliegende Untersuchung nicht, weil sie doch zu sehr selber von den »Wirbeln des noch wirkenden Historismus« (12) beeindruckt und bestimmt ist und sie mit Vokabeln wie »ungeheure Umkehrung« und »kopernikanische Revolution« (321) wohl noch verstärkt, denen sie »die Ostertheologie« eigentlich »entreißen« möchte (12). Was jedoch anspricht und anregt, sind die Korrekturen und Erweiterungen der sonst einseitig akzentuierten Darstellung Schliers – so, wenn H. doch von einem genau bestimmten Sinn weiß, in dem »die Auferstehung die ›Bedeutsamkeit‹ des Kreuzes« ist (191), von »bestimmten Zeugen, deren Glaube ›mitkonstitutiv‹ für die Osteroffenbarung des Auferstandenen wird« (313), so dass er sagen kann: »Die ›Ant-wort‹ des Menschen wird zu Offenbarung Gottes« (319). Diese überraschenden Gegenakzente liegen auf der Linie der von H. vorgeschlagenen Schlier originell weiterdenken den »›liturgischen Hermeneutik‹ der Auferstehung« (380). »Eine Liturgie ›feiert‹, was schon geschehen ist. Aber ohne sie verwirklicht sich nicht, ›was schon geschehen ist‹. Die Liturgie ist nicht nur Ausdruck des Geheimnisses, sondern sein eigentlicher Vollzug in der Wandlung der Gemeinde.« (299)
Auf eine thematische Erörterung, mit der H. – ohne zu viele Seitenblicke! – auf die hier skizzierte Sache »hinausdenkt«, wäre man freudig gespannt!