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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

281-283

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Augustin, George, u. Ingo Proft[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ehe und Familie. Wege zum Gelingen aus katholischer Perspektive.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2014. 480 S. = Theologie im Dialog, 13. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-451-31257-1.

Rezensent:

Martin Bräuer

Die Fragen der Ehe- und Familienpastoral sowie der Sexualethik gehören schon seit Langem zu den vieldiskutierten »heißen Eisen« innerhalb der katholischen Kirche. 2013 entschied Papst Franziskus, dass dieser Fragenkomplex sowohl auf einer außerordentlichen Bischofssynode im Oktober 2014 als auch auf einer ordentlichen Bischofssynode im Oktober 2015 diskutiert werden und nach Lösungen und konkreten Leitlinien für die Seelsorge gesucht werden solle. Angestoßen wurden diese Diskussionen durch eine Rede von Kardinal Walter Kasper, die dieser auf Einladung des Papstes vor dem Konsistorium im Februar 2014 hielt und auf die er sowohl Zustimmung wie heftigen Widerstand erntete.
Die Herausgeber des vorliegenden Bandes – George Augustin SAC, Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar sowie Di­rektor des dort angesiedelten Kardinal-Kasper-Institutes, und Ingo Proft, wissenschaftlicher Mitarbeiter dieses Instituts und Dozent für Moraltheologie an der Hochschule Vallendar – haben sich die Aufgabe gestellt, die Thematik der von Kasper angefachten Diskussion aufzugreifen.
Eine stattliche Anzahl von Autoren stellt sich in den hier versammelten Beiträgen, die in vier Unterabschnitten gegliedert sind (»Ehe und Familie in Kirche und Gesellschaft«, »Biblische und theologische Vergewisserung«, »Krisen und Gelingen der Ehe und Fa­milie«, »Pastorale Ermutigungen und Perspektiven«), der Frage, welche Herausforderungen sich an Ehe und Familie in der heu-tigen Gesellschaft stellen und welche Anregungen es dazu aus katholischer Perspektive gibt. Dabei sind die Perspektiven der jeweiligen Autoren entweder dogmatisch-systematischer, moraltheologischer, kirchenrechtlicher, pastoraltheologischer oder so­ziologischer Natur. Die biblischen und sakramentstheologischen Aussagen zu Ehe und Familie werden dabei ebenso aufgeschlagen wie – unter dem Titel »Vor der Ehe, in der Ehe, nach der Ehe« – das »Tagebuch eines Stadtpfarrers«. »Wenn Kinder Sündenböcke für die Eltern werden« lautet einer von mehreren Beiträgen über Krisen und Gelingen von Ehe und Familie. »Ganz anders als gedacht?«, fragt der Autor des Kapitels über Ehe und Familie im Kirchenrecht, Prälat Markus Graulich SDB und versucht aufzuzeigen, dass die auf dem II. Vatikanischen Konzil im Rückgriff auf die moderne Anthropologie vorgelegte mehr personalistische Konzeption von Ehe auch Eingang in das Kirchenrecht gefunden hat.
Wer dieses Buch zur Hand nimmt, begegnet dem Phänomen, dass eine so alte und multikulturelle Institution wie die katholische Kirche zu den anliegenden Fragen sehr unterschiedliche Wahrnehmungen und Lösungsansätze bietet. So nimmt der Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, die Problematik der Frage der Wiederzulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten in seinem Beitrag »Die Ehe – ein wahres und eigentliches Sakrament des Neuen Bundes« durchaus wahr. Aber er lehnt die Inanspruchnahme des Begriffs »Barmherzigkeit« für die Lösung dieses Problems ab, denn: »Aufgrund einer objektiv fraglichen Inanspruchnahme der Barmherzigkeit besteht die Gefahr einer Banalisierung des Gottesbildes, gemäß dem Gott nur vergeben kann. Zum Geheimnis Gottes gehören neben der Barmherzigkeit zugleich die Heiligkeit und die Gerechtigkeit.« (105) Stattdessen schlägt Müller im Rückgriff auf einen Text der römischen Glaubenskongregation von 1998 vor, die Bedeutung des Glaubens für das Zustandekommen eines Sakramentes zu klären und eine kirchenrechtliche Lösung anzustreben: »Zum Wesen des Sakramentes gehört der Glaube; es gilt also, die rechtliche Frage zu klären, welche Evidenz eines ›Nicht-Glaubens‹ die Konsequenz hat, dass ein Sakrament nicht zustande kommt« (105 f., dort ist auch die Quellenangabe zu finden).
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn schaut in seinem Beitrag »Fünf Aufmerksamkeiten aus der Perspektive des Seelsorgers. Zur Pastoral für wiederverheiratete Geschiedene« aus einer anderen Perspektive auf die Problematik und kommt auch zu einem anderen Ergebnis als Müller. Er benennt die Erfahrungen seiner eigenen Biographie (»Es ist in Österreich bekannt, dass ich selbst aus einer zerbrochenen Familie komme. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich dreizehn Jahre alt war«, 368) und die Realität in vielen Gemeinden, die auch geprägt ist durch Menschen in neuen Beziehungen nach gescheiterter Ehe. Schönborn wirbt für die Wahrnehmung der verschiedenen Betroffenen, die Eheleute, die Kinder, die »Übriggebliebenen«, und fragt, ob die Schuldgeschichte bearbeitet wurde. Er warnt davor, in Extreme zu verfallen, die Sakramente einfach für alle zu öffnen oder generell zu verweigern, sondern den Einzelfall zu prüfen. So kommt er zu dem Schluss:
»Ich kann ihnen keine einfache Lösung anbieten und kein Rezept für die zahllosen Fälle von Scheidung und Wiederverheiratung. […] Denen gegenüber, deren Ehe gescheitert ist, möge uns das Wort Christi leiten ›Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie‹ (Joh. 8,7)«. (376)
Der Innsbrucker Dogmatiker Willibald Sandler führt in seinem Beitrag »Zeit der Barmherzigkeit – Zeit des Gerichts« aus:
»Wenn die Kirche wiederverheiratete Geschiedene kategorisch vom Empfang der Sakramente fernhält, entzieht sie ihnen nicht nur ›Gnadenmittel‹ (im Sinn von Begegnungsräumen für die heilende und vollendende Gnade). Sie entzieht sie auch einem Gericht, das effektiver und zugleich barmherziger als jedes menschliche Gericht ist.« (418)
Der Band zeigt auf, dass »Wege zum Gelingen aus katholischer Perspektive« sehr unterschiedlich gegangen werden und auf diesen Wegen sich vielfältige, teilweise konträre Aussichten bieten. Das macht ihn zu einer spannenden Lektüre für alle, die den Weg der katholischen Kirche in der Ehe- und Familienpastoral aufmerksam verfolgen.