Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

637-639

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kohnle, Armin, u. Siegfried Bräuer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Von Grafen und Predigern. Zur Reformationsgeschichte des Mansfelder Landes.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 377 S. m. 50 Abb. = Schriften/Kataloge der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 17. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-03798-8.

Rezensent:

Roland Lehmann

Der Sammelband vereinigt Vorträge zweier Tagungen, die in den Jahren 2011 im Rathaus zu Eisleben und 2012 auf dem Mansfelder Schloss stattfanden. Während das erste Treffen Graf Albrecht von Mansfeld (1480–1560) und seinem Hofprediger Michael Coelius (1492–1559) galt, widmete sich die zweite Konferenz dem Mansfelder Prediger Kaspar Güttel (1471–1542). Jene wirkmächtige Trias der Mansfelder Reformationsgeschichte bildet den inhaltlichen Kern des Bandes, infolge dessen insbesondere die Aufsätze von Armin Kohnle, Hartmut Kühne und Enno Bünz im Zentrum stehen, weshalb sie im Folgenden ausführlicher zur Sprache kommen. Flankiert werden die Untersuchungen durch nicht minder bedeutende Beiträge zu weiteren lokalhistorischen und baugeschichtlichen Einzelthemen.
Eröffnet wird der Band durch einen perspektivenreichen Vortrag von Uwe Schirmer über die Lehnsbeziehungen der Grafen von Mansfeld. Sabine Arend gibt eine detaillierte Übersicht der Mansfelder Kirchenordnungen, deren Eigentümlichkeit darin bestehe, dass der überwiegende Teil der Ordnungen nicht wie üblich im landesherrlichen Auftrag entstanden sei, sondern aus eigener Ini­tiative der Superintendenten verfasst wurde – ein Indiz für die re-lativ eigenständige Position der geistlichen Kirchenleitung im Mansfelder Land (47.66).
In einem fulminanten Vortrag würdigt Armin Kohnle Albrecht von Mansfeld als »Reformationsgrafen« und gibt zugleich eine lohnenswerte Einführung in die Mansfelder Reformationsgeschichte. Zunächst klärt er die Mansfelder Ausgangslage, die einhergehe mit der 1501 erfolgten Aufteilung in die Gebiete Vorder-, Mittel- und Hinterort. Graf Albrecht regierte den hinterortischen Teil, der nicht mehr als ein Fünftel der Grafschaft bildete (71). Danach schildert Kohnle die Beziehungen Albrechts zu Luther, wobei bereits Indizien aus den Jahren 1522/23 auf die Hinwendung Albrechts zu Luthers Reformanliegen hindeuten. Luther diente ihm zeitlebens als Berater in Gegenwehr zu den altgläubig gebliebenen vorderortischen Grafen, insbesondere Graf Hoyer VI., und den Reformationsgegnern wie Georg von Sachsen und den Erzbischöfen im Umland, zu denen Albrecht in Lehnsabhängigkeit stand. Ab 1540 lässt sich eine Verschlechterung der Beziehung zwischen Luther und Albrecht feststellen, deren Ursache in Albrechts unsozialer Politik zur Erschließung neuer Einnahmequellen bestand, im Zuge derer er Druck auf die Pächter und Eigner von Schmelzöfen ausübte (78). Den Verlauf der Reformation gliedert Kohnle in drei Phasen: die Phase des Gewährenlassens, die Phase der offenen reformatorischen Politik ab 1523 und die Phase der Ausdehnung der Reformation auf die gesamte Grafschaft nach Hoyers Tod 1540 (79). Schließlich würdigt Kohnle Albrecht als bedeutenden Akteur auf der politischen Bühne des Reiches, da er zu den Gründungsvätern des Schmalkaldischen Bundes und zu den Mitbegründern des evangelischen Bündnisgedankens zählt.
Andreas Lindner vertieft die Informationen zum Grafen Al­brecht, indem er auf die Rezeptionen seiner Person in den folgenden Jahrhunderten eingeht. Lindner beobachtet hierbei verschiedene Akzentuierungen hinsichtlich seiner Bewertung als Politiker, die ihn entweder als hinterhältigen Machtmenschen oder ehrlichen Vermittler zu Tage zeichnen. Lothar Berndorf rückt Margareta von Mansfeld (1534–1596) ins Blickfeld, die als Witwe seit 1567 vom Stadtschloss Eisleben aus das Kirchenwesen in Mansfeld-Hinterort mitlenkte, indem sie für die evangelische Erziehung ihrer Kinder sorgte, Predigeranstellungen vermittelte, drei Kirchenvisitationen anordnete (1572, 1578, 1588), die Architektur der St. Annen-Kirche in Neustadt Eisleben beeinflusste, dort eine Schulgründung initiierte und im Erbsündestreit zwischen 1569 und 1574 zwischen den Substantianer und den Akzidenziern die letztere Partei unterstützte. Nikola Schmutzler betrachtet den Werdegang des Predigers, Mathematikers und Verkünders des Weltendes Michael Stifel (1486/87–1567), der zwischen 1523 bis 1524 beim Grafen Albrecht als Hofprediger wirkte.
Hartmut Kühne konzentriert sich auf die Biographie von Michael Coelius. Als Leitfaden dient ihm hierbei der Bericht von Cyriakus Spangenberg, der 1556 eine Zusammenstellung der Auslegungen, Schriften und Predigten von Coelius drucken ließ, und deren Nachrichten Kühne kritisch überprüft und durch bislang unberücksichtigtes Quellenmaterial kenntnisreich ergänzt. Am 7. September 1492 in Döbeln geboren, immatrikulierte er sich im Sommersemester 1509 an der Universität Leipzig, wo er am 8. März 1511 sein Baccalaureat erwarb. Ein Jahr später kehrte er in seine Heimatstadt Döbeln zurück, wo er in der städtischen Schule eine Lehrerstelle übernahm. Am 1. Juli 1513 folgte er einer Berufung an die Lateinschule Rochlitz, wo er 1516 Rektor wurde. Im Frühjahr 1518 empfing Coelius die Weihen zum Priester und erhielt Ende September seine erste geistliche Stelle im bislang noch nicht eindeutig identifizierten Ort »Grimmitz« (160 f.). Bereits ein halbes Jahr später wurde er zu Ostern 1519 Prediger an der Pfarrkirche S. Peter in Rochlitz. Wie bislang in der Forschung behauptet, könne Kühne zufolge nicht eindeutig bewiesen werden, ob er 1519 bei der Leipziger Disputation als Zuhörer teilnahm. Gleichwohl bilden die Nachrichten darüber wohl den Anfangsimpuls zur genaueren Beschäftigung mit Luthers Schriften, was ihn auch zu einem kurzen Besuch Wittenbergs bewogen habe. Am 18. März 1522 machte er seine reformatorische Anhängerschaft offiziell, indem er verbotenerweise als Priester die Rochlitzer Bürgerstochter Christiane Merseburger heiratete. Um etwaigen Maßnahmen von Seiten des Merseburger Bischofs Adolf zuvorzukommen, siedelte er am 23. Juni 1523 ins nordböhmische Bensen über. Die Examinierung seiner Predigt am 13. Dezember 1523 durch den Prager Dompropst Ernst von Schleinitz führte zum Eklat (179). Am 25. oder 26. Januar 1525 musste er aus der Stadt flüchten und erhielt im November 1525 die Mansfelder Hofpredigerstelle bei Graf Albrecht. Dort stieß er auf zahlreiche Widerstände insbesondere von Seiten der altgläubigen Kontrahenten aus dem Dominikaner- und Franziskanerorden. Höhepunkt der Auseinandersetzung bildete die Kontroverse mit dem Arnststädter Franziskanerguardian Melchior Meckenlör, der zu Ostern 1532 Coelius’ Predigten hörte, daraufhin Gegenpredigten hielt, worauf eine Disputation folgte, worauf sich die Auseinandersetzung zu einer Flugschriftendebatte ausweitete. Das von Kühne gezeichnete Bild des streitbaren Coelius ist eine wertvolle Ergänzung zum eher »irenischen Bild«, welches die Forschung dem Wirken seines letzten Jahrzehnts entnahm auf der Grundlage seines Briefwechsels mit Luther, seiner Leichenpredigt zum Tode Luthers und dem mit Justus Jonas gemeinsam verfassten Sterbeberichts über den Reformator.
Jene Spangenbergsche Coelius-Ausgabe steht auch im Zentrum des interessanten Vortrags von Siegfried Bräuer, der Coelius’ Leichenpredigten der Mitglieder des Grafenhauses untersucht. Lothar Berndorff geht ebenso auf jene Edition ein, indem er Spangenbergs memorialkulturelle Motive zur Herausgabe jener Edition ins Blickfeld rückt.
Enno Bünz widmet sich der Vita von Kaspar Güttel auf der Grundlage seines Lebensberichts aus dem Jahr 1535. Der Bericht reflektiert den doppelten Bruch des 1471 in Rötz geborenen Güttel: zum einen die Hinwendung vom altgläubigen Weltgeistlichen zum reformorientierten Augustinermönch der Eislebener Bruderschaft (1514) und wiederum zum lutherisch geprägten Reformator (1522). Neben seinem kurzen Wirken als Prediger in Zwickau im Juni/Juli 1523 blieb der Lutheranhänger in Eisleben und wurde dort Nachmittagsprediger an der St. Andreaskirche, wo er sich insbesondere der Angriffe des altgläubigen Theologen Georg Witzels erwehren musste und eine reichhaltige schriftstellerische Tätigkeit entfaltete. Im Alter von 58 Jahren heiratete er eine 30-jährige Witwe. Zu Recht relativiert Bünz die Auffassung von Robert Stupperich, der behauptete, dass die Einführung der Reformation zum großen Teil sein Verdienst gewesen sei (264). Vielmehr war er daran beteiligt und gehörte zur zweiten Reihe von Reformatoren, die zwar keine Vordenker, gleichwohl aber wichtige Vermittler und Multiplikatoren waren. Besonders verdienstvoll ist die von Enno Bünz im Anhang angefertigte Edition des besagten Lebenslaufs von Güttel, der theologisch drei Grundanliegen verfolgt: die Abrechnung mit der vorreformatorischen Weltfrömmigkeit, die theologische Begründung seiner Eheschließung und das Bekenntnis des rechten Glaubens (263 f.).
Ergänzt werden die Ergebnisse zu Kaspar Güttel durch einen Vortrag von Stefan Oehmig über dessen »Judenschrift« aus dem Jahr 1529, worin Oehmig kenntnisreich auf die Entstehung, Druckgeschichte, Inhalt und Wirkungsgeschichte eingeht. Einblick in den Bestand der Eisleber Turmbibliothek, die zunächst im Turm der Eislebener Stadtkirche St. Andreas untergebracht war und sich nun im Geburtshaus Martin Luthers befindet, gibt Ernst Koch. Neben 43 mittelalterlichen Inkunabeln, Bänden aus dem Erfurter Kartäuserkloster und dem Helftaer Kloster besteht die Sammlung aus 300 Lutherschriften und 2.501 Titeln anderer Reformatoren. Koch kann die bestehende Auffassung erhärten, dass Güttel der Gründer der Bibliothek war und dass viele Drucke seine Lesespuren aufweisen. Abgerundet wird der Aufsatzband durch Reinhard Schmitt, der Auskunft über die Baugeschichte des Eisleber Augustinerklosters gibt, dessen Hauptgebäude vom Sommer 1515 bis Frühjahr 1516 errichtet wurde und lange Zeit zu Unrecht im Schatten des Wittenberger Augustinerklosters stand.
Insgesamt bietet der Band einen perspektivenreichen Einblick in die Mansfelder Reformationsgeschichte, bei dessen Lektüre sich trotz der Vielzahl an Themen ein wertvolles Gesamtbild ergibt.