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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

165–167

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

[Hübner, Ulrich]

Titel/Untertitel:

Zauber und Magie im antiken Palästina und in seiner Umwelt. Kolloquium des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas, 14.–16.11.2014, Mainz. Hrsg. v. J. Kamlah, R. Schäfer u. M. Witte.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2017. X, 565 S. m. Abb. 1 CD-Rom m. Abb., Ktn. u. Tab. = Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins, 46. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-447-10781-5.

Rezensent:

Bill Rebiger

Der hier zu besprechende Sammelband vereint insgesamt 18 Beiträge, von denen zwei auf Englisch und alle anderen auf Deutsch verfasst sind. Die Hälfte der Artikel geht auf Vorträge zurück, die auf dem Kolloquium »Zauber und Magie im antiken Palästina und in seiner Umwelt« des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas (DPV) gehalten wurden, das vom 14. bis 16. November 2014 in Mainz stattfand. Um das Themenspektrum des Kolloquiums zu ergänzen, konnten neun weitere Beiträge für die Veröffentlichung gewonnen werden. Der Band ist dem langjährigen Vorsitzenden des DPV, Ulrich Hübner, Professor im Ruhestand am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel, zum 65. Geburtstag gewidmet.
In ihrer gemeinsam verfassten Einleitung referieren die drei Herausgeber, die ansonsten weder im vorliegenden Sammelband noch an anderen Orten durch Magieforschungen in Erscheinung getreten sind, die einzelnen Beiträge. Die beiden titelgebenden Begriffe »Zauber und Magie« werden offenbar ohne definitorische Trennschärfe synonym benutzt. Das damit benannte Phänomen wird noch relativ unspezifisch »zeit- und kulturübergreifend« zu den »Grundformen menschlicher Daseinsbewältigung« gezählt (1). Wenn die Herausgeber annoncieren, dass in diesem Band ein Überblick für den Zeitraum des »2. und 1. Jt.s v. Chr.« (ebd.) geboten wird, kann es sich nur um einen Fehler handeln, denn tatsächlich er­streckt sich der Untersuchungszeitraum der versammelten Artikel bis weit ins 1. Jt. n. Chr.
Magische Texte und Artefakte liefern in vielen Fällen Beispiele sowohl für zeitlich begrenzten interreligiösen und interkulturellen Austausch als auch für die longue durée in der Entwicklung bestimmter Praktiken und Techniken. So ist es zu begrüßen, dass der zeitliche wie räumliche Horizont der Beiträge weit gespannt wurde. So werden nicht nur einschlägige Texte des Alten Testaments (siehe Simone Paganini über den Verbotskatalog magischer Praktiken in Dtn 18,9–14 oder Michael Pietsch über die Elischa-erzählungen in 2Kön) und Neuen Testaments (siehe Reinhard von Bendemann über das Scheitern des exorzistischen Heilungszaubers und die Rückkehr des unreinen Geistes in Lk 11,24–26 par) untersucht, sondern auch Belege aus Ägypten von der Pharaonenzeit (Hans-Werner Fischer-Elfert) bis zur hellenistischen Zeit (Joachim Friedrich Quack), Beschwörungs- und Ritualtexte aus Mesopotamien (Daniel Schwemer) sowie hethitische Ritualtexte (Doris Prechel), der Exorzismus im apokryphen Tobitbuch (Beate Ego), apokalyptische Texte (Stefan Beyerle), die Qumranfunde (Annette Steudel), altkirchliche Erzählliteratur (Marco Frenschkowski) bis hin zu den babylonischen Zauberschalen des 4. bis 7. Jh.s (Christa Müller-Kessler und Markham J. Geller) berücksichtigt. Während einige Artikel nur überblicksartigen und einführenden Charakter aufweisen, widmen sich andere entweder ausgesuchten Einzelphänomenen oder auch theoriebildend übergreifenden Fragestellungen wie z. B. Gattungsbestimmungen. Hier wären vor allem die anregenden Beiträge von Schwemer und Fischer-Elfert hervorzuheben.
Dagegen fehlen leider im vorliegenden Sammelband entsprechende Studien zur Magie in der rabbinischen Literatur oder auch zu den Funden von spätantiken jüdischen Metallamuletten. Auch wäre es wünschenswert gewesen, wenn vergleichend die magischen Partien der Hekhalot-Literatur sowie magische Fragmente aus der Kairoer Geniza herangezogen worden wären. Daher ist zu beklagen, dass Experten aus dem Fach Judaistik offenbar nicht für einen Beitrag gewonnen werden konnten. Aber auch Untersuchungen zu den syrischen oder sabäischen Quellen magischer Praktiken hätten den Überblick bereichern können.
Während sich die meisten Beiträge mit magischen Texten be-fassen und diese linguistisch, philologisch, exegetisch, motivgeschichtlich oder auch ritualtheoretisch untersuchen, widmen sich einige Artikel auch Funden magisch relevanter Artefakte aus archäo­logischer Perspektive. So deutet Helga Weippert in ihrem erhellenden Beitrag mithilfe einer Rekonstruktion zugrundeliegender Weltbilder ikonographische Motive (Hand, Löwe) auf Fundstücken aus der bronze- und eisenzeitlichen Stadtkultur Palästinas als apotropäische Mittel. In überzeugender Weise versucht Brian B. Schmidt am Beispiel von zwei Vorratsgefäßen (pithoi) und anderer Artefakte, die in den Ausgrabungen in Kuntillet ʽAğrūd im Negev (9./8. Jh.) gefunden wurden, materielle Evidenzen für rituelle Handlungen aufzuzeigen. Bei einer Ausgrabung in ʼAšdōd Yām an der israelischen Mittelmeerküste wurde im Jahre 2015 eine bronzene Amulettkapsel aus hellenistischer Zeit gefunden, die noch verschiedene materiae magicae enthielt. Diesem Einzelfund ist die detailreiche Analyse von Angelika Berlejung und Alexander Fantalkin gewidmet.
Dass sich einige Autoren dieses Sammelbandes in ihren Beiträgen affirmativ auf den Alttestamentler Rüdiger Schmitt beziehen, unterstreicht die Bedeutung des Letzteren für die Theoriebildung alttestamentlicher Magie. Schmitt definiert in seinen diesbezüglichen Beiträgen (und so auch im vorliegen Band über »Magie und rituelles Heilen im Alten Testament«) Magie als ein ritualisiertes, symbolausdrückendes, performatives Verhalten, das mythisch oder theistisch präfiguriert ist, Projekte und Zukunftspläne auf idealem Niveau realisiert und ein göttliches Eingreifen antizipiert. Zugleich versteht er, anders als einige seiner Kollegen, Magie nicht als Gegensatz, sondern als integralen Bestandteil von Religion (vgl. 184).
Am Ende jedes einzelnen Artikels wird die jeweils verwendete Quellen- und Sekundärliteratur in Bibliographien nachgewiesen. Verschiedene Register zu Namen von Gottheiten, Engeln und Dämonen, geographische Orte, historische und literarische Personen sowie zu Sachen, Quellen und fremdsprachlichen Wörtern beschließen den Band. Außer griechischen und koptischen Termini sind alle anderen fremdsprachigen Wörter transliteriert. Was leider fehlt ist ein Index moderner Autoren.
Zur überaus reichen Ausstattung des Bandes gehören ca. 40 Schwarz-Weiß-Abbildungen im Text, eine eingebundene Faltkarte zu den Fundorten von Zauberschalen, ein gesonderter Tafelteil mit weiteren Schwarz-Weiß-Abbildungen sowie eine beigelegte CD-ROM mit 53 Farbtafeln zu den ägyptischen Amuletten, die im Artikel von Christian Herrmann behandelt werden, sowie zu dem Amulettfund, der im gemeinsam von Berlejung und Fantalkin verfassten Artikel vorgestellt wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der vorliegende Sammelband nicht nur eine willkommene Ergänzung zur wissenschaftlichen Erforschung der Magie Palästinas und umliegender Kulturen darstellt, sondern darüber hinaus in der Vielfalt behandelter Phänomene und angewandter Methoden wie auch in der vorbildlichen Ausstattung eine hohe Maßstäbe setzende Publikation ist.