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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

335–337

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Selderhuis, Herman J. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Handbook of Dutch Church History.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 679 S. m. 4 Abb. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-55787-7.

Rezensent:

Heinrich Holze

Dieses »Handbuch« ist die englische Übersetzung des in Erstauflage 2006 in Utrecht erschienenen »Handboek Nederlandse Kerkgeschiedenis«. Als Herausgeber zeichnet Herman J. Selderhuis, Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Universität Apeldoorn, Direktor des Instituts für Reformationsforschung, Wissenschaftlicher Kurator der Johannes a Lasco Bibliothek und Präsident des Internationalen Calvinkongresses.
In seiner Einleitung erläutert Selderhuis die dem Buch zugrunde liegenden und auch im Titel anklingenden konzeptionellen Entscheidungen. Zu diesen gehört die Bezeichnung als Handbuch, womit sich die Erwartung eines vollständigen Überblicks (»a complete overview«) über das Themenfeld verbindet. Der Herausgeber räumt ein, dass dies bei fast 2000-jähriger Geschichte kaum möglich sei, zeigt sich aber überzeugt, dass das vorgelegte Buch gleichwohl ein gutes Hilfsmittel (»a good tool«) für vertiefende Studien darstelle. Die im Buchtitel »Dutch History« anklingende geographische Fokussierung des Themenfeldes impliziert eine zweite Grundentscheidung. Der Herausgeber vermerkt, dass die Beiträge sich auf die nördlichen Landesteile (»the so-called northern Neth-erlands«) beschränken, also weder die Geschichte der südlichen Niederlande (seit 1830 das Königreich Belgien), noch die der überseeischen Territorien behandeln. Dieser geographische Fokus, in d em sich der neuzeitliche Blickwinkel der Gesamtkonzeption zeigt, ist verständlich, freilich treten dadurch Zusammenhänge und Verflechtungen, die in den vorangehenden Jahrhunderten prägend waren, in den Hintergrund. Die dritte Grundentscheidung ergibt sich aus der Überlegung, sich nicht am Konzept der »Christentumsgeschichte« zu orientieren, sondern den thematischen Fokus auf die »Kirchengeschichte« zu legen. Der Herausgeber begründet das damit, dass die Kirche als Institution »the dominant factor of the Christian religion« sei. Freilich wird das Verständnis von »Kirche« dann doch wieder sehr weit gefasst, wenn als Objekt der Kirchengeschichte »anything which presents itself as a church or as its representative« (8) benannt und zugleich auf die umfassende Perspektive der Darstellung hingewiesen wird: »We have not attempted to give a recitation of facts, but rather to tell the story of the Chris-ti an church as an integral part of the fullness of life.« (9) Auf der Grundlage dieser konzeptionellen Überlegungen er­schließt das Handbuch in sieben Kapiteln – beginnend in der Spätantike und bis in die Gegenwart reichend – Zugänge zu allen Epochen der niederländischen Kirchengeschichte. Die Periodisierung orientiert sich am Ablauf der Jahrhunderte, nur bei der Darstellung des Mittelalters wird mit dem Jahr 1200 eine inhaltliche Zäsur gesetzt.
Jedes Kapitel (mit Ausnahme des ersten Kapitels über das Frühmittelalter) wird von zwei Autoren mit unterschiedlicher konfessioneller Prägung (»differing ecclesiastical backgrounds«) verantwortet, was der Herausgeber mit dem Bemühen »for a more ob-jective history« (10) begründet. Der Aufbau der Kapitel ist gleichbleibend. Zunächst präsentiert eine Zeitleiste die wichtigsten Daten und Ereignisse. Darauf folgt ein kurzer historischer Überblick. Im Hauptteil werden dann die Themen und Aspekte der betreffenden Periode entfaltet. Die kirchengeschichtlichen Bezüge werden dabei in den größeren Zusammenhang der politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen gestellt. Karten, Tabellen und Diagramme ergänzen das geschriebene Wort. Literaturhinweise, die zum Weiterstudium einladen, bilden den Abschluss der Unterabschnitte.
Im ersten Kapitel »The Middle Ages to 1200« entfaltet Frank van der Pol, Kirchenhistoriker an der Theologischen Universität Kampen, in chronologischer Folge die Entwicklungen seit dem Ausgang der Spätantike über die Christianisierung im frühen Mittelalter bis hin zur Kreuzzugszeit. In eigenen Abschnitten werden Heiligenverehrung, Erziehung und Kultur sowie Abweichungen von der christlichen Lehrnorm behandelt.
Das zweite Kapitel, das den Zeitraum vom 12. Jh. bis zum Vorabend der Reformation abdeckt, wird von Peter Nissen, Professor für Vergleichende Religionswissenschaften an der Radboud University in Nijmegen, und William den Boer, Postdoc an der Theologischen Universität Kampen, verantwortet. Einleitend werden die Lebensbedingungen der Menschen hinsichtlich Urbanisierung, Bevölkerungswachstum und wachsender Kluft zwischen Arm und Reich geschildert. Dann werden die Entwicklungen in der kirchlichen Organisation, im monastischen Leben und in den Gemeinden beschrieben. Abschließend werden die Umbrüche im Bildungswesen, die Entstehung der Universitäten, das Aufkommen des Bibelhumanismus und die Entwicklungen in der kirchlichen Kunst dargestellt.
Das dritte Kapitel (»The Sixteenth Century«) aus der Feder von Herman Selderhuis und Peter Nissen entfaltet in chronologischer Folge die Geschehnisse der Reformationszeit. Zunächst werden die frühen reformatorischen Entwicklungen geschildert, dann folgen die Konflikte um den Calvinismus in der Mitte des Jahrhunderts, der Aufstand gegen Spanien und die Entstehung einer reformierten Kirche. Die nachreformatorische Zeit mit der beginnenden katholischen Reform wie auch der Pluralisierung der Reformation bildet den Abschluss dieses umfangreichen und gelehrsamen Kapitels.
Das vierte Kapitel (»The Seventeenth Century«) ist der Frühen Neuzeit gewidmet. Es wird von Willem J. van Asselt (1946–2014), ehem. Professor für historische Theologie in Leuven, sowie Paul H. A. M. Abels, Mitglied der Vereinigung für Niederländische Kirchengeschichte, verantwortet. Der behandelte Zeitraum reicht von 1533 bis 1692. Geschildert werden die sozialen, politischen ökonomischen Entwicklungen, das geistige und kulturelle Leben, die konfessionellen Differenzierungen, die Herausbildung einer reformierten Orthodoxie auf der Synode von Dordrecht, die Lage der römischen Katholiken als unterdrückter Minderheitskirche sowie die Prozesse der Konfessionalisierung innerhalb der reformierten Kirchenfamilie.
Das fünfte Kapitel (»The Eighteenth Century«) ist von Paul Abels sowie Aart de Groot, Lektor em. an der Universität von Utrecht, entworfen. Dargestellt werden Tendenzen und Strömungen in Aufklärung, Pietismus und akademischer Theologie, die spannungsreichen Entwicklungen in der reformierten Kirche, im Katholizismus und in den Minoritätskirchen wie den Mennoniten, Lu­theranern und der Brüdergemeine. Außerdem werden die Folgen der Französischen Revolution für die niederländischen Territorien thematisiert.
Das sechste Kapitel (»The Nineteenth Century«) wendet sich den Entwicklungen im 19. Jh. zu. Autoren sind George Harinck, Kirchenhistoriker an der Freien Universität Amsterdam, und Lodewijk Winkeler, Kirchenhistoriker am Katholischen Dokumentationszentrum an der Radboud University in Nijmegen. Der geschichtliche Bogen wird von der Gründung des Königreichs der Niederlande 1815 bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges gespannt. In diesem Zeitraum werden die spannungsreichen kirchlichen und konfessionellen Entwicklungen zwischen Aufklärung, Orthodoxie und Liberalismus beschrieben.
Das siebte und letzte Kapitel (»The Twentieth Century«) wird wie das vorausgehende Kapitel von George Harinck und Lodwijk Winkeler verantwortet. Die beiden Weltkriege stehen im Zentrum der Darstellung. Zunächst werden die Geschehnisse und Folgen des Ersten Weltkriegs für Politik, Gesellschaft, Kirchen und Theologie geschildert. Die Besetzung der Niederlande durch Deutschland und die in der Nachkriegszeit beginnende »restoration and reconstruction« (573) des kirchlichen Lebens schließen sich an. Das Ringen um Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen (»Wrestling with the world«) bildet den Abschluss dieses Kapitels.
Das Handbuch ist auf hohem Niveau geschrieben. Die Verfasser sind ausgewiesene Kenner der Materie. Unter der Herausgeberschaft von Herman Selderhuis ist eine stimmige Gesamtdarstellung der niederländischen Kirchengeschichte entstanden. Die im Anhang beigefügten Register der Personen und Orte erschließen die zwischen den Kapiteln bestehenden Zusammenhänge. Das detaillierte Inhaltsverzeichnis, das besser am Anfang des Buches gestanden hätte, ist ebenfalls sehr nützlich. Ein Verzeichnis der beteiligten Autoren sucht man leider vergebens.