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Ausgabe:

Januar/2020

Spalte:

132–133

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bubmann, Peter, u. Alexander Deeg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Sonntagsgottesdienst. Ein Gang durch die Liturgie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 285 S. m. 3 Abb. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-525-57062-3.

Rezensent:

Stephan Winter

»Die Erwartung eines evangelischen Gottesdienstes der Zukunft braucht Fragen des Glaubens, der Theologie, der Ästhetik. Fragen eben, wie sie Menschen stellen, die den evangelischen Gottesdienst lieben: Wie kann die Liturgie im verlässlichen Ritual die Gemeinde ihres Glaubens gewiss machen und fern ritualistischer Erstarrung zum Gotteslob locken? Wie kann eine im Gottesgeheimnis begründete Fremdheit der Feier Banalitäten draußen und die Türen zur Welt offen halten? Wie können wir für die Schönheit des Gotteslobs am Sonntagmorgen das Beste geben und es beim nächsten Mal noch besser machen? Welche Sprache braucht die Liturgie, damit sie vom Himmel kündet und auf Erden verstanden wird?« – Diese Zeilen finden sich im Vorwort zur 3., erweiterten Auflage des viel rezipierten Buches von Martin Nicol: Weg im Geheimnis. Plädoyer für den Evangelischen Gottesdienst, Göttingen u. a. 2011 (dort: 5). Entsprechend diesen Fragen geht es Nicol in diesem Werk darum, von der faktischen Feier des normalen evangelischen Sonntagsgottesdienstes her »die Umrisse eines künftigen Sonntagsgottesdienstes [zu skizzieren], bei dem sich professionelle Normalität, theologische Tiefenschärfe und zwecklose Schönheit zu einer Feiergestalt verbinden, die Erschöpfte aufatmen lässt und Enttäuschte lockt.« (Ebd.)
N., der seit 1995 am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Praktische Theologie lehrt und mittlerweile emeritiert worden ist, hat mit diesem Buch (erstmals 2009 erschienen) nichts weniger als ein leidenschaftliches wie sachkundiges Plädoyer für eine Liturgik vorgelegt, die sich – wie die Praktische Theologie aus seiner Sicht insgesamt – im Wechselspiel von »Ereignis und Kritik […] als hohe Schule der Gotteskunst« versteht, so der Titel eines programmatischen Aufsatzes von 2002 (in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 99 [2002], 226–238). N. ging und geht es bei seiner akademischen Arbeit nicht zuletzt mit Blick auf den Gottesdienst darum, Wege »im Geheimnis« zu bahnen und auf diese Wege zu locken. Speziell der »gottesdienstliche Weg im Geheimnis« wird dabei auf inspirierende Weise als »ebenso abenteuerlich wie normal« erschlossen: »Er zieht seine Schleifen zwischen himmlischem Thronsaal und Alltag der Welt, führt mit frommen Formeln in die Machtspiele zwischen Himmel und Erde, verhält sich irdisch wie ein Klingelbeutel und heiligt die Dinge durch die diskrete Macht der Doxologie. Ein Pilgerweg eben, mit Blasen an den Füßen und erhebendem Gesang. Der evangelische Gottesdienst ist, wie andere Liturgien der weltweiten Kirche auch, Weg in der Gotteswirklichkeit, im Mysterium, im Geheimnis.« (Nicol, Weg, 9)
Das zu besprechende Buch nun ist nur vor dem Hintergrund von N.s Ansatz angemessen zu würdigen. Es wurde von seinem Nürnberger Kollegen Bubmann und seinem Schüler Alexander Deeg (Ordinarius für Praktische Theologie in Leipzig und Leiter des dortigen Liturgiewissenschaftlichen Instituts der VELKD) anlässlich von N.s 65. Geburtstag herausgegeben – und zwar ausdrücklich nicht als Festschrift, da Martin Nicol sich jegliche Festschrift verbat. Das Buch soll »mehr als nur eine Festschrift sein. Es ist ein Buch zum ›Evangelischen Gottesdienst‹, das den ›Weg im Geheimnis‹ […] abschreitet und auslotet. Es erkundet den Gottesdienst der Kirche, vertraut sich der Wegführung an, die Martin Nicol in sei-ner liturgischen Programmschrift bietet, nimmt diese Impulse auf, führt sie weiter oder fragt kritisch nach.« (9) – Man kann dem Buch bescheinigen, dass dieser Ansatz voll aufgegangen ist. Die 39 Beiträge schreiten entlang der »Grundform 1« des Evangelischen Gottesdienstbuches, die den so genannten »Mess-Typ« abbildet, die einzelnen Schritte ab, die diese Grundform prägen. Innerhalb eines solchen Rahmens ist ein ebenso lesenswerter wie aufgrund der ganz unterschiedlichen Anlage der einzelnen Beiträge kurzweiliger Liturgiekommentar entstanden, genau, wie es das Vorwort um­schreibt: »eine aktuelle Einführung in die Schritte dieser Liturgieform auf dem Hintergrund liturgiewissenschaftlicher Erkenntnisse und persönlicher Erfahrungen.« Und gerade deshalb, weil gezielt die »Grundform 1« für diesen »Gang durch die Liturgie« ausgewählt worden ist, und weil die Beiträgerinnen und Beiträger entsprechend klug ausgewählt worden sind, ist dieser Sammelband auch ein wichtiger Beitrag für eine konsequent ökumenisch angelegte liturgietheologische Reflexion.
N. hat in seiner ›Vorlage‹ die einzelnen Kapitel durchgängig nach »Beobachtungen – Meinungen – Skizzen« binnengegliedert; genau in den damit aufgespannten Rahmen lassen sich inhaltlich die Beiträge des zu besprechenden Buches einordnen, und sie re­präsentieren auch stilistisch an verschiedenen Stellen die ästhetisch-poetische Dimension der theologischen Arbeit N.s, u. a. dadurch, dass Beiträge speziell zur musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes überproportional vertreten sind. Leider können die Texte hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden. Nur so viel: Sie setzen an im Vorfeld jedes Sonntagsgottesdienstes, zu dem klassisch das Glockengeläut die Ekklesia vor Ort zusammenruft (vgl. den Text »Die Läutkultur« von J. Haberer), und nähern sich über eine Reflexion zur physischen Raumhülle der Feier (vgl. den Text von W. Ratzmann zum Kirchenraum), einer originellen Betrachtung des Schwellenraums »Sakristei« (A. Deeg) über Reflexionen zur leib-seelisch ausgeprägten Ausdrucksgestalt des Gottesdienstes und ihren diversen Aspekten sowie zur »geistig-spirituelle[n] Exis-tenz der Liturginnen und Liturgen« (S. Percze) der Thematisierung der »Musik zum Eingang« (K. Röhring) an. Darauf folgen die Texte, die den einzelnen Liturgieelementen in der entsprechenden Reihenfolge gewidmet sind. Am Ende wird der Weg wieder nach draußen geführt: über den »Handschlag am Ausgang« (B. Dier), den »Kirchenkaffee« (E. Hauschildt) bis auf Gedanken zur Metaebene der »Gottesdienstkritik« hin (F. Höhne). – Biographische Angaben zu den Autorinnen und Autoren und ein Namenregister vervollständigen den Band.
N. mag sich eine Festschrift verbeten haben. Der Rezensent meint, er wie alle, die diesen Band zur Hand nehmen, dürfen sich dankbar und glücklich schätzen, dass sich so viele, ihm auf unterschiedliche Weise verbundene Menschen ein klein wenig darüber hinweggesetzt und »mehr als eine Festschrift« zusammengestellt haben: ein Buch, das eindrucksvoll und originell dokumentiert, welche Früchte eine immer auf die Dialektik von Theorie und Praxis des Glaubens angelegte akademische Fachtheologie tragen kann.