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Ausgabe:

April/2020

Spalte:

279–281

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Arens, Thorsten

Titel/Untertitel:

Christliches Profil und muslimisches Personal. Katholische und muslimische Ärzte in Caritas-Krankenhäusern.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2018. 352 S. m. 12 Abb. u. 1 Tab. = Diakonie, 20. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-17-035484-5.

Rezensent:

Hansjörg Schmid

Die fortschreitende religiöse Pluralisierung und insbesondere die Präsenz von Muslimen wirkt sich in beträchtlichem Maße auf den Wohlfahrts- und Gesundheitssektor in Deutschland aus. Ein daraus resultierender Fragekomplex sind spezifische Bedürfnisse von muslimischen Patienten und Patientinnen, ein weiterer der Aufbau muslimischer Wohlfahrtseinrichtungen, welcher sich noch in den Anfängen befindet und derzeit mit mehr Realismus diskutiert wird als noch vor einigen Jahren. Eine dritte zentrale Thematik kreist um die Frage, wie sich das Profil konfessionell geprägter christlicher Einrichtungen wandelt und inwiefern sie sich für Mitarbeitende etwa muslimischen Glaubens öffnen können. Zu diesem Fragekomplex leistet die vorliegende an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar erstellte Dissertation einen wichtigen Beitrag. Ihr Vf. ist im Gesundheitssektor im Bereich »christliche Profilbildung« tätig und vermag hier auch einen ge­lungenen Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Reflexion und Praxis zu leisten.
Die Arbeit umfasst neben der Einführung (15–28) und dem Schluss (»Auswirkungen«, 261–233) zwei große Hauptteile: Im ersten Teil (29–142) geht es um einen theologisch-theoretischen Zugang zur Frage des christlichen Profils von Caritas-Krankenhäusern, welcher sich aber durchaus auch auf andere Sozialeinrichtungen übertragen lässt. Die bisweilen diffuse Profilfrage wird hier klar in drei Teilbereiche strukturiert, die aufeinander angewiesen und miteinander verzahnt sind: Auf der Identitätsebene geht es um das christliche Gottes-, Menschen- und Werteverständnis, auf der Organisationsebene um die Kirche als Arbeitsorganisation und Dienstgemeinschaft unter Einschluss arbeitsrechtlicher Fragen und schließlich auf der Leitbildebene um die Grundvollzüge von Koinonia, Martyria, Liturgia und Diakonia. In diesem ersten Teil wird vor allem auf Bibeltexte, kirchenamtliche Texte sowie auf praktisch- und systematisch-theologische Literatur Bezug genommen.
Im zweiten Teil (145–259) werden die Ergebnisse der empirischen Analyse präsentiert, wofür zwölf Interviews mit je zur Hälfte muslimischen und katholischen Ärzten und Ärztinnen inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Die drei Teilbereiche des ersten Teils fungieren hierbei wiederum als strukturierendes Raster für die Interviewfragen und die Analyse. Die weitreichenden Übereinstimmungen im Gottes-, Menschen- und Wertverständnis zwischen muslimischen und christlichen Befragten sowie die Differenzen in Bezug auf Trinität und Gottessohnschaft decken sich mit anderen Untersuchungen zum christlich-muslimischen Dialog. Darüber hinaus bringt die Studie jedoch reichhaltige Erkenntnisse hervor, die hier nur exemplarisch angedeutet werden können: die pragmatischen Gründe, die bei muslimischen wie christlichen Ärzten zur Entscheidung für einen kirchlichen Arbeitgeber geführt haben; die weitreichenden Diskrepanzen zwischen Leitbild und Praxis sowie ausbleibende Berührungsängste zwischen muslimischen Ärzten und Patienten; Aussagen darüber, wie Handeln im Sinne der Kirche oft in einem inklusiven und weiten berufsethischen Sinn verstanden und wie auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Kopftuch umgegangen wird; schließlich die sel-tene Thematisierung und Erlebbarkeit von Glauben im Arbeits-alltag.
Der Gewinn des ersten Teils scheint mir vor allem in der Strukturierung eines breiten Feldes zu liegen und weniger in der Durchdringung jeder angesprochenen Einzelfrage. Eine eigenständige Reflexion zur Trinitätstheologie mittels des mathematischen Mo­dells Pólya-Stöpsel mag originell erscheinen; man würde die jedoch in einer praktisch-theologischen Arbeit nicht unbedingt erwarten (48 f.). Der Bezug auf eine Leitbild2studie sowie exemplarische Leitbilder aus christlichen Krankenhäusern ist spannend, aber äußerst knapp gehalten (70 f.). Die Frage des Menschenbildes könnte noch stärker philosophisch akzentuiert werden, aber der Vf. erhebt hier auch keinen umfassenden Anspruch. Manche Passagen sind im Bemühen um eine breite Abstützung etwas zitatelastig (124.128 u. ö.), an anderen Stellen, wie etwa in der kritischen Auseinandersetzung mit Andreas Wollbolds Position zum Modell der Grundvollzüge, tritt die eigenständige Argumentation stärker in den Vordergrund (120–122).
Im zweiten Teil besteht bisweilen die Gefahr, dass die zu Beginn der Arbeit sehr präzise formulierte Forschungsfrage, welche Herausforderungen die Anstellung muslimischer Ärzte für das christliche Profil mit sich bringt, etwas aus den Augen gerät. Einige Passagen sind davon geprägt, dass sich die Zitate aus den Interviews fast nahtlos aneinanderreihen. Hier wären weiterreichende Analysen, Deutungen und Interpretationen durch den Vf. wünschenswert. Die Aussagen der Befragten bringen ein Spektrum von Reflexionen und Auffassungen zu den verschiedenen Teilthemen zum Ausdruck. Methodisch nicht ganz klar ist, wieso »sieben Probe-interviews« (152) nicht berücksichtigt wurden und wie genau mittels des Kriteriums der »Datensättigung« (ebd.) zwischen diesen und den schließlich ausgewerteten Interviews unterschieden wurde. Die komparative Anlage mit katholischen und muslimischen Ärzten stellt vor hohe Herausforderungen. Jede der beiden Gruppen würde bereits in sich ausreichend Stoff bieten. Eine Variation könnte darin bestehen, muslimische Ärzte und Ärztinnen und Klinikleitungen zu befragen.
Der Ertrag der Arbeit ist vielfältig: In Bezug auf die Profilfrage wird unter den Befragten die Position vertreten, »dass sich die religiöse Entwicklung der Gesellschaft in einem kirchlichen Krankenhaus abbilden soll« (173). Im Mittelpunkt stehen klar die Hilfe am Menschen und deren jeweilige Bedürfnisse (258 f.). Dabei erweist sich etwa Barmherzigkeit als möglicher gemeinsamer, jeweils theologisch motivierter Horizont für christliches wie muslimisches Helfen (265). Für die Profilbildung fungieren muslimische Ärzte und Ärztinnen als »bereichernde Gesprächspartner« (323), wobei ich vorsichtiger als der Vf. wäre, aufgrund seiner empirischen Ergebnisse generalisierend davon auszugehen, dass bei diesen (gemeint ist wohl in Bezug auf muslimische Menschenbilder) »von Sachkenntnissen ausgegangen werden kann« (ebd.). In jedem Fall resultiert aus der Begegnungssituation, dass »das karitative Handlungsfeld als praxisnahes Lernfeld des interreligiösen Dialoges« (28) in Erscheinung tritt. Dies erfordert auf der praktischen wie auf der wissenschaftlichen Ebene ein hohes Maß an Reflexions- und Vermittlungsarbeit, um einen solchen Dialog zu ermöglichen und zu beleben.
Die Arbeit zeichnet sich insgesamt durch ein hohes Maß an Qualität und Gründlichkeit aus. Theorie und Empirie stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Der Vf. ist bei seiner Auswertung auch bemüht, Literatur aus dem Bereich des christlich-islamischen Dialogs heranzuziehen und dabei eine gründliche Einordnung vorzunehmen. Hier wäre an einigen Stellen noch mehr Tiefgang möglich – zum Beispiel dort, wo es um interreligiöse Perspektiven zum Thema Gebet geht (310 f.). Die Arbeit enthält schließlich verschiedene sehr hilfreiche Illustrationen und Schemata. Es ist allerdings bedauerlich, dass deren Druckqualität teilweise nicht den heutigen Standards entspricht (insbesondere 66.82.109.140.142.157).
Die verschiedenen kritischen Kommentare und Anfragen sollen keinesfalls die Bedeutung der Arbeit mindern, sondern aufzeigen, in welche Richtungen ein Weiterdenken in einem Themengebiet von höchster Zukunftsrelevanz möglich wäre.