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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

798–801

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller, Virginia

Titel/Untertitel:

A King and a Fool? The Succession Narrative as a Satire.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. X, 302 S. = Biblical Interpretation Series, 179. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-90-04-41171-5.

Rezensent:

Walter Dietrich

Das Buch ist aus der Dissertation der Vfn. hervorgegangen, die unter Anleitung von Suzanne Boorer an der Murdoch Universität in Perth, Australien, entstand. Der Titel könnte etwas missverständlich sein: Es geht nicht um einen König und einen Narren, sondern um den König als Narren. Die Thronfolgegeschichte, so die These, sei von Anfang bis Ende eine Satire: in erster Linie auf König David, aber auch auf die Prinzen Amnon und Abschalom.
Eine Satire, so die Vfn., wird nicht geschrieben, um alles zu vernichten, was dem Autor unter die Augen oder unter die Feder kommt. Satiriker sind in aller Regel keine Revolutionäre, erst recht keine Anarchisten, sondern Reformer, die hoffen, durch die Offenlegung schwacher Stellen im jeweiligen gesellschaftlichen System zu dessen Verbesserung und damit letztlich zu seiner Erhaltung beizutragen, kurzum: »the satirist is an optimist« (245).
Die methodische Grundlegung dieser These steht sinnvollerweise weit vorne im Buch (29–39). Sie basiert auf den Arbeiten zweier Literaturwissenschaftler und eines Alttestamentlers: Robert C. Elliot (ein Buch über Satire, 1972), Douglas C. Muecke (zwei Bücher über Ironie, 1969 und 2018) und David Marcus (ein Buch über antiprophetische Satire, 1995).
Im Hauptteil ihres Buches (43–214) sucht die Vfn. im Gefolge Mueckes im 2. Samuelbuch nach »ironischen« Zügen, denn diese seien konstitutiv fürs Satirische. Und sie wird reichlich fündig!
– In 2Sam 11,4 bietet »the ironist« (das ist der biblische Autor!) eine »incongruity in the situation« (56) – ein untrügliches Kennzeichen für Ironie. Und was ist »inkongruent«? Dass der König, der das Gesetz hüten soll, eben gegen dieses verstößt; genauer: Er missachtet das Ehebruchsverbot des Dekalogs. Was aber, wenn der Dekalog eine Spätfrucht der Gesetzesbildung in Israel ist?
– Wenn David Urija zum Gastmahl einlädt, um den wackeren Mann trunken zu machen (2Sam 11,13), dann verstößt er gegen die Gesetze der Gastfreundschaft – so wie einst Nabal (der »Tor«, the fool!) es ihm selbst gegenüber getan hat (62). Doch was haben diese beiden Erzählungen miteinander zu tun?
– In der Natan-Parabel 2Sam 12,1b–4 ist der reiche Übeltäter gleichzusetzen nicht nur mit David, sondern wiederum mit Nabal, der dem »traveller« David nicht gastfreundlich begegnete (73). Ging es aber damals nicht viel mehr um Schutzgeld als um Gastfreundschaft?
– Abigajil intervenierte bei David, um das Leben ihres Mannes Nabal zu schützen; Batscheba hingegen tat nichts, um ihren Mann Urija zu retten (74). Beteiligt sieh hier eine Exegetin an üblen Männerspiel »blame the victim«?
– Wenn Natan in 2Sam 12,9 David vorwirft, er habe »das Wort Jhwhs verachtet«, dann sei damit »the law« gemeint, »which David has plainly disregarded« (76). Die Vfn. beachtet nicht, dass dābār in den Text nachträglich als Euphemismus eingefügt wurde, um David nicht Gott selbst »verachtet« haben zu lassen.
– Wenn laut 2Sam 13,22 Abschalom Amnon hasste, dann verstieß er damit gegen das Gebot von Lev 19,17: »Du sollst nicht hassen deinen Bruder in deinem Herzen«. Doch Davids Schonung seines übergriffigen Sohnes (2Sam 13,21) sei genauso »contrary to the law« wie Abschaloms Brudermord (2Sam 13,28 f. – so 101). Kann man auf diese Weise aus einer tragisch-blutigen eine ironische Geschichte machen?
– Die heftige Klage um den toten Abschalom in 2Sam 19,1 weckt »in the lower level« Sympathie mit David, doch »in the upper level« ist »the ironist […] pejoratively critical with David«, der das ganze Unglück ja selbst verschuldet habe (187).
– Joabs Frage an Amasa in 2Sam 20,9, ob es ihm gut gehe, ist »at the lower level« teilnahmsvoll, »at the upper level« jedoch »full of menace« (198). Klar: Joab ist heimtückisch und tötet meuchlings – doch was daran ist ironisch?
Die Unterscheidung von »lower« und »upper level« zieht sich durch das ganze Buch; sie erinnert an die uralte Unterscheidung zwischen Buchstabensinn und geistlichem Sinn, an Allegorese also. Dem Wortlaut nach scheint vieles an David nicht zu beanstanden, doch zwischen den Zeilen lauert allüberall Ironie und Kritik, und ebendas soll das Satirische an der biblischen Darstellung ausmachen.
Außer »irony« benennt die Vfn., im Gefolge von Marcus, noch andere, freilich »non-essential elements of satire« (215–220), als da seien: »fantastic events«» (z. B. Abschaloms Haarfülle oder sein Hängen in einem Baum), »grotesqueries« (z. B. Davids Ehebruch mit Batscheba oder der Tod Urijas mit anderen Soldaten zusammen), »distortions« (z. B. Übertreibungen von Davids Fürsorge für die Familie Sauls oder seines Kampfes um das Leben des Erstgeborenen Batschebas), »ridicule« (z. B. werde David durch die prompte Schwangerschaft Batschebas oder durch Natans Strafrede lächerlich gemacht), schließlich »parody« (z. B. wenn Amnon gegenüber Tamar »abuses the custom of hospitality« oder wenn Abschalom sich an den Nebenfrauen Davids genauso als Vergewaltiger betätige wie zuvor Amnon an Tamar). M. E. vermögen auch diese Beispiele die sogenannte Thronfolgegeschichte nicht als Satire zu er­weisen.
Gut zehn Seiten (223–234) verwendet die Vfn. darauf, sich zu wichtigen früheren Samuelforschern in Beziehung zu setzen. Sie entdeckt einzelne Anknüpfungspunkte in der »Early History of Interpretation«, vertreten durch Wellhausen, Luther, Caspari, Gressmann, Schulz und Rost. Rundum falsch findet sie die Bestimmungen der Thronfolgegeschichte als »National Epic« durch Pfeiffer oder als prodavidische »Propaganda« durch Thornton, Hoffner (irrtümlich: »Hoffman«), McCarter und Whitelam. Etwas gnädiger beurteilt sie die Beschreibung als Weisheitsschrift durch Whybray oder als »Theological ›History‹ Writing« durch von Rad, Brueggemann, McKenzie und Mann. Starke Sympathien hegt sie für die Einschätzung als »Literary Art« durch Eissfeldt und Gunn (erstaunlicherweise nicht: Fokkelman, Alter und Bar-Efrat) sowie als eine Art »Njals Saga« durch Van Seters.
Auf weiteren gut zehn Seiten (248–258) stellt die Vfn. noch einmal die Missetaten zusammen, derentwegen David »ironisch attackiert« werde. Es sind nicht weniger als 32! Allerdings ist die Zählung etwas merkwürdig. Fehler Nr. 13 ist, dass David »a Danger to Others« ist, und dann werden nochmals diejenigen aufgeführt, denen er zur Gefahr wird: seine Truppen (Nr. 14) und seine Familie (Nr. 15). Ähnlich Davids Umgang mit »Justice«, der bald zu streng, bald zu lasch und insgesamt inkonsistent gewesen sei (Nr. 16); doch dann folgen noch die Einzelvorwürfe, dass »David’s Administration of Justice Is Too Harsh« (Nr. 17) oder »Too Lenient« (Nr. 18) und jedenfalls »Inconsistent« (Nr. 19). Wenn also das Register von 32 Sünden auch ein wenig verkürzt werden kann, fragt man sich doch: Machte David (wohlgemerkt: der literarische, denn vom historischen wissen wir ja nicht allzu viel) denn alles falsch? Machte er nicht zumindest einiges auch gut – zum Beispiel die Leier spielen, Saul verschonen, Jerusalem erwählen, die Philister besiegen, Schuld eingestehen, den Tod von Kindern beweinen, am Ende doch noch die Thronfolge regeln, und wohl noch einiges mehr? Es ist seltsam, wie einseitig negativ die Bewertung Davids ausfällt: und zwar nicht erst durch die Vfn., sondern, wie sie meint, schon durch die biblischen Autoren. Nun ist aber große Literatur – und solche liegt im 2. Samuelbuch zweifellos vor – nie einlinig und eindimensional, sie ist immer mehrbödig und voller Ambivalenzen. Davon wird in diesem Buch kaum etwas sichtbar.
Wenig Sinn zeigt die Vfn. leider auch für Historie. Nirgendwo finden sich Ausführungen zur Textkritik oder zur Literar- und Redaktionskritik: doch wahrlich keine nebensächlichen Themenfelder in den Samuelbüchern. Auch die Frage nach dem historischen David bleibt ausgeblendet. Dass es eine separate »Succession Narrative« im Umfang von 2Sam 9–20 + 1Kön 1–2 gab und diese ein einheitlicher Text ist, wird undiskutiert vorausgesetzt. Wann sie entstanden sein mag, interessiert die Vfn. kaum. Ihre Sympathie für den Entwurf von John Van Seters lässt denken: womöglich in nachexilischer Zeit – doch wird das nie zum Gegenstand der Reflexion gemacht. Unreflektiert auch werden, wie oben gezeigt, Texte aus Leviticus oder dem Deuteronomium oder 1Sam 8 oder 1Sam 25 zur Erklärung von Partien des 2. Samuelbuchs beigezogen; die Frage, ob sie deren Verfasser(n) bekannt waren (oder überhaupt bekannt sein konnten), wird höchstens einmal gestreift, nie vertieft diskutiert.
Nun will sich aber der Rezensent nicht dessen schuldig machen, was er der Vfn. dieses Buches vorhält: Einseitigkeit. Es sei gern eingeräumt, dass bei ihren Betrachtungen gelegentlich auch bedenkenswerte exegetische Einsichten abfallen. Auch davon ein paar Beispiele:
– In 2Sam 11,3 meldet jemand, der zur Identität der von David entdeckten schönen Badenden befragt wird, nicht einfach: »Das ist Batscheba«, sondern fragt: »Ist das nicht Batscheba?« Darin könnte eine versteckte moralische Wertung dessen liegen, was David im Sinn hat (55).
– Urijas beschwörenden Ausruf in 2Sam 11,11 übersetzt die Vfn. (60) gewinnend mit »As you live, and your desire lives« (statt »your soul«, wie næfæš doch meist noch wiedergegeben wird).
– Mit dem Wort-»cluster« waschen – salben – speisen wird andernorts in der Bibel das Feiern eines Festes angezeigt; doch in 2Sam 12,20 reagiert David damit auf den Tod eines Kindes; »the reader expects that David will mourn the loss« (79).
– Zu 2Sam 13,13 wird viel diskutiert, ob die von Tamar vor ihrer Vergewaltigung in Aussicht gestellte Heirat mit Amnon rechtlich überhaupt zulässig gewesen wäre. Die Vfn. meint: nein – denn warum sonst hätte der »weise« Jonadab die Begegnung zwischen den beiden nur auf so verdecktem Weg organisieren und warum hätte Amnon dann nicht offen um Tamar werben können (95)?
– Erwähnt sei noch ein hübscher Seitenhieb auf Benjamin Ne-tanyahu (244 f.): Dieser vergleiche sich gern mit David – nicht zuletzt in der Erwartung, seine eigenen Verfehlungen würden als ebenso verzeihlich eingestuft wie diejenigen Davids. Dies aber könne nur jemand denken, der das Satirische in der biblischen Darstellung Davids verkenne.
Es ist bei diesem wie bei anderen Ein-Themen- und Ein-Thesen-Büchern: Nach einiger Zeit hat man Zielsetzung und Argumen-tationsweise begriffen – und empfindet dann eine gewisse Ermüdung, immer und immer wieder Gleiches oder Ähnliches vorgeführt zu bekommen. Es soll damit nicht gesagt sein, die eine Di­mension, die die Vfn. wahrnimmt und darlegt, sei in der sogenannten Thronfolgegeschichte überhaupt nicht vorhanden; sie ist es aber neben anderen und kaum in so ubiquitärem Ausmaß, wie in diesem Buch unterstellt.