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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1252–1254

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bender, Annika

Titel/Untertitel:

Der christliche Sonntag. Theologische Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2019. LII, 245 S. = Erfurter Theologische Studien, 114. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-429-05333-8.

Rezensent:

Nicole Stockhoff

Für die christliche Kirche ist der Sonntag der zentrale Versammlungstag, um Liturgie zu feiern. Der christlich begründete Wo­chenfeiertag erfährt in der multikulturellen Gesellschaft eine veränderte Akzeptanz. Der Sonntag wird in der Gesellschaft als arbeitsfreier Tag mehrheitlich noch akzeptiert, aber als kirchlicher Feiertag erfährt er einen Bedeutungswandel. Die vorliegende Studie von Annika Bender, eine an der Universität Erfurt erstellte liturgiewissenschaftliche Dissertation, widmet sich diesem Anliegen. Die Arbeit möchte eine Theologie des Sonntags entwickeln, die ausdrücklich liturgietheologische Reflexion und soziologische Analysen miteinander ins Gespräch bringt, um den »Beitrag der Sonntagsliturgie für die Identität der christlichen Gemeinschaft aufzuzeigen und ihre Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen darzustellen.« (18) Um dieses Ziel verfolgen zu können, geht B. in vier Schritten vor. Die Einleitung (1–21) erläutert den Angang der Arbeit.
Im Hauptteil A (Grundlegende Vorüberlegungen, 23–58) werden unterschiedliche Interpretationen des »Säkularisierungsparadigmas« vorgestellt und analysiert. B. greift auf religionssoziologische und zeittheoretische Modelle von Pollack, Taylor, Casanova zurück und geht ausführlich auf die Ausarbeitungen von Grace Davie ein, indem sie herausarbeitet, dass es für Kirchen und religiöse Institutionen entscheidend sein wird, auf »die Minderheit und die Mehrheit in angemessener Weise einzugehen.« (35) Sie verweist weiterführend auf Hartmut Rosa, der die »beschleunigte Zeit« und die Notwendigkeit von »Entschleunigungsoasen« erarbeitet hat. B. stellt heraus, dass der Sonntag seine Wirkung als soziokultureller Schutzraum entfalten kann, wenn die freie Zeiteinheit synchron zur Verfügung gestellt wird.
Der Hauptteil B erläutert »Kirchliches Engagement für den Sonntag in der Gegenwart« (59–119). Zunächst erfolgt eine kurze Grundlegung zur Theologie des Sonntags, die von der Eucharistie her entwickelt wird und Konsequenzen für das soziale Leben mit sich bringt und die dann abschließend in eine Darstellung verschiedener kirchlich verwurzelter sozialpolitischer Initiativen zum Schutz des Sonntags sowie deren Strahlkraft für die Sonntagsliturgie mündet. B. lobt dabei wertschätzend die »Zwecksonntage«, die eine Brücke zwischen gelebtem Alltag und gefeierter Sonntags-liturgie schlagen können. Sie stellt heraus: »Die gesellschaftliche Bedeutung des sonntäglichen Gottesdienstes wird auf diese Art einmal mehr sichtbar, die ›Zwecksonntage‹ können als liturgischer Ausdruck kirchlichen Selbstverständnisses verstanden werden, das auf Gemeinwohl ausgerichtet ist.« (118)
Der dritte Teil der Studie C (»Christliche Identität aus der Feier des Sonntags«, 121–203) kehrt zur Liturgietheologie zurück. B. wählt zunächst einen liturgiegeschichtlichen Zugang, indem sie die Neubewertung des Sonntags durch die Liturgische Bewegung (121–141) und durch das Zweite Vatikanum (141–158) differenziert darstellt. Der zweite Zugang ist kulturtheoretischer Art. Mit der von Jan Assmann entwickelten Theorie des kulturellen Gedächtnisses untersucht sie den »Sonntäglichen Lobpreis« der Wort-Gottes-Feier und zeichnet damit »Entsprechungen von Liturgie und kulturellem Gedächtnis« (170) nach. Im dritten Zugang erarbeitet sie mit Hilfe des heortologischen Zugangs die Festbedeutung. B. konstatiert: »Das menschliche Leben mit seinen Bedürfnissen, das im Alltag oft unberücksichtigt erscheint, wird im Fest neu ge­stärkt. In der liturgischen Feier findet der Mensch zu einer positiven Selbstdeutung und lernt sich neu als wesentliches Bestandteil der von Gott gut geschaffenen und damit stabilisierten Welt verstehen.« (203)
Der abschließende vierte Teil D bildet die Synthese (205–229). B. führt in diesem Kapitel die Erkenntnisse der Untersuchung zu­sammen, indem sie die Erkenntnisse der einzelnen Kapitel auf die Zukunft des christlichen Sonntagsgottesdienstes erörtert. Konkret geht sie auf die gottesdienstliche Praxis, das kirchliche Handeln und auf gesellschaftliche Perspektiven ein. Sie untermalt: »Versuche, die Lebensrelevanz des Sonntags durch die Gestaltung der Sonntagliturgie besonders hervorzuheben, verdienen entsprechende Beachtung, auch wenn sie im Detail problematisch sein können. Die Arbeit hat gezeigt, dass sog. Zwecksonntage als Teil der gottesdienstlichen Sonntagskultur einen Ausdruck der christlichen Verantwortung für die Welt darstellen. Sie sind dabei jeweils in ihrem einzelnen Anliegen kritisch zu hinterfragen, zeigen aber deutlich, dass die Feier der Liturgie von gesellschaftlichen Kontexten berührt wird.« (218)
B. argumentiert sowohl überzeugend nach außen, um den Stellenwert des Sonntags in der Gesellschaft zu betonen, als auch nach innen, um den christlichen Stellenwert zu dieser Thematik angemessen ins Wort zu bringen. Der Rezensentin erschließt sich nicht, warum als liturgietheologisches Beispiel nur der Lobpreis am Sonntag eine Erwähnung gefunden hat. Hier wäre ein weiteres Beispiel, z. B. die Präfationen zum Sonntag – wie sie im Messbuch ausgewiesen werden –, eine Bereicherung gewesen. Zumal B. auf die Zwecksonntage eingeht, deren Inhalt in der Eucharistiefeier am Sonntag begangen werden. Ein weiteres Beispiel wäre sicherlich die Spendung der Taufe in der Eucharistiefeier gewesen. Bei dieser Kasualie lassen sich der gesellschaftliche Zwiespalt und seine Übertragung auf die Sonntagskultur ablesen.
Man muss im Einzelnen überlegen, ob das Sinngebäude des christlichen Sonntags seinen christlichen und theologischen Stellenwert behalten kann, wenn dieser in der pluralen Gesellschaft nicht mehr eindeutig zu finden ist, und ob aus der kirchlichen Positionierung und bestehenden Traditionen zum Sonntag ein Gewinn für den gesellschaftlichen Diskurs abgeleitet werden kann. Aber mit den Grundlegungen, die dieses Buch in seiner Übersicht über ein höchst praxisrelevantes Themenfeld eröffnet, ließe sich dieser Diskurs gut führen. Hierfür ist das Buch eine wertvolle und solide Unterstützung.