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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

217-218

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Christoffersen, Mikkel Gabriel

Titel/Untertitel:

Living with Risk and Danger. Studies in Interdisciplinary Systematic Theology.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 267 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 165. Geb. EUR 80,00. ISBN 9783525571386.

Rezensent:

Katharina Wörn

Mikkel Gabriel Christoffersen, Postdoc für Systematische Theologie an der University of Copenhagen, trifft mit seiner Dissertationsschrift einen neuralgischen Punkt gegenwärtiger öffentlicher Debatten: Angesichts von drohendem Ökokollaps, anhaltenden Migrationsbewegungen und – wenngleich nach dem Erscheinen der Studie – globaler Pandemie ist die Allgegenwärtigkeit von Risiken und Gefahren und die damit verbundene Fragilität menschlichen (Zusammen-)Lebens in das öffentliche Bewusstsein westlicher Gesellschaften zurückgekehrt. C. greift diesen Umstand auf und verfolgt mit seiner Monographie das Ziel, das Potential des christlichen Symbolsystems für die produktive Bewältigung eines Lebens in Risiken und Gefahren neu auszuloten. Den Entstehungskontext für die Monographie bildet das University of Copenhagen’s Excellence Programme for Interdisciplinary Research (2014–2017) zum Thema »Changing Disasters«; dementsprechend stark ist die interdisziplinäre Ausrichtung der Studie, die insbesondere an gegenwärtige Debatten aus dem Feld der (Risiko-)Soziologie anknüpft.
Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: Teil I (Introductions to Risk and Danger) widmet sich neben terminologischen Klärungen der theologischen Standortbestimmung und methodologischen Fragen. Instruktiv und für die weiteren Ausführungen zentral ist die hier vorgelegte Differenzierung von »Risiko« und »Gefahr« im Anschluss an den Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann: Während »Risiko« das intentionale Eingehen einer bedrohlich erscheinenden Situation bezeichnet, wird unter »Ge­fahr« das passive Ausgesetzt-Sein einer nicht-gewählten Bedrohung verstanden. »Risiko« und »Gefahr« unterscheiden sich also bezüglich der Attribuierung des entstehenden Schadens nach innen bzw. außen. Bezüglich der theologischen Verortung seiner Studie konsultiert C. europäische und nordamerikanische Theo-logien verschiedener regionaler und konfessioneller Couleur aus dem Feld der »Risikotheologie« (u. a. John Sanders, Sharon Welch, Karen Baker-Fletcher) und gewinnt in kritischer Auseinandersetzung entscheidende Ausrichtungen für sein weiteres Vorgehen. Der beeindruckenden und für den deutschsprachigen Raum unüblichen Diversität der vorgelegten Ansätze stellt C. anschließend im Sinne einer comprehensive theology einen theologischen Ansatz zur Seite (David Kelsey, Eccentric Existence, 2009), der ihm eine trinitarische Gliederungsmatrix für seine eigenen Ausführungen liefert (Teil III).
Teil II (Living with Risk and Danger) legt in Form von drei interdisziplinären Studien eine Situationsanalyse des (modernen) Le­bens zwischen Risiken, Gefahren, Vulnerabilität, Ab- bzw. Versicherung und Vertrauen vor. Dabei werden soziologische Positionen aus dem Feld der Risikosoziologie (Ulrich Beck, Niklas Luhmann, François Ewald, Stephen Lyng) mit phänomenologischen Beschreibungen und theologischen Interpretationen verknüpft. Besonders erhellend ist dabei die Entwicklung einer »Relationalen Risikotheorie« im Anschluss an die schwedischen Risikotheoretiker Åsa Boholm und Hervé Corvellec. Diese besagt, dass Menschen so ge­nannte »Risikobeziehungen« zwischen wertvollen, als bedroht eingestuften Objekten und bedrohenden Objekten/Personen konstruieren. Welche Beziehung als risikoreich eingestuft wird, ist also sozial kontingent und einem individuellen wie gesellschaftlichen Konstruktionsprozess unterworfen. C. weist dabei im Kontext der westlich-modernen Lebenswelt auf zwei gefährliche Tendenzen hin: Zum einen werden »Gefahren« (etwa diejenige, an Lungenkrebs zu erkranken) durch den Anstieg an Wissen und damit verbundene Optionen vermehrt als »Risiken« aufgefasst (Lungenkrebs als Risiko einer ungesunden Lebensführung). Die Verantwortung für zumindest teilweise unkontrollierbare Umstände wird damit auf das Individuum verlagert; die Tendenz zu Absicherungsmechanismen und Präventionsmaßnahmen gesamtgesellschaftlich verstärkt. C. plädiert hier für eine klare Unterscheidung zwischen »Gefahren« und »Risiken« und erweitert die relationale Risikotheorie dementsprechend um eine relationale Gefahrentheorie, die die Verwundbarkeit menschlichen Lebens auch jenseits der eigenen Verantwortung (und damit verbundenen Schuldfragen) betont. Zum anderen weist er darauf hin, dass Risikobeziehungen immer auch ein Misstrauensverhältnis gegenüber dem als risikoreich wahrgenommenen Objekt oder der Person bedeuten. Die Verbindung von Risikominimierung und Praktiken der Exklusion liegt damit ebenso auf der Hand wie die Herausforderung, Vertrauen (statt Absicherung) als Form der Risikobewältigung zu stärken.
Teil III (Towards a Theology of Risk and Danger) korreliert die bisher gewonnenen Fragestellungen mit den christlichen Symbolen von Schöpfung, Inkarnation, Vollendung und Versöhnung. Vier Thesen in trinitarischer Ausrichtung fassen die Ergebnisse der Arbeit zusammen: 1) Leben mit Risiken und Gefahren wird als integraler Teil menschlicher Geschöpflichkeit verstanden. Die Einbettung des Menschen in wertvolle Beziehungen durch den dreieinigen Gott impliziert zugleich deren potentiellen Verlust durch selbstinduzierte oder fremdgenerierte Umstände. 2) Verwundbarkeit und Angst gehen mit einem Leben in Risiken und Gefahren einher. Der trinitarische Gott in seiner eigenen Verwundbarkeit ermöglicht dabei einen balancierten Umgang mit menschlicher Verwundbarkeit. 3) Leben mit Risiken und Gefahren bedeutet auch das Gerichtetsein auf eine unsichere Zukunft mit potentiellen Ver lusten. Die christliche Hoffnung einer neuen Schöpfung steht einer Verabsolutierung jeder Form von zukünftigen Verlusten entgegen. 4) Verstrickung und Schuld sind mit den Verlusten eines Lebens in Risiken und Gefahren verbunden. Das christliche Symbolsystem verweist in diesem Zusammenhang auf Gottes vergebende Zuwendung am Kreuz, die eine verantwortungsvolle Übernahme risikoreicher Situationen ermöglicht.
In der hier angelegten Verbindung von Schöpfungs- und Versöhnungslehre sieht C. dann auch das Potential für die Transformation gegenwärtiger Tendenzen: Die Betonung der grundsätzlichen Verwundbarkeit der geschaffenen Welt wird den Kontrollbestrebungen der westlichen Präventions- und Versicherungsgesellschaft, die Gefahren in Risiken verwandelt, ge­gen­übergestellt. Zugleich wird der Schuld für eingegangene und verfehlte Risiken die Versöhnungsbereitschaft Gottes entgegengesetzt.
C.s Studie beeindruckt durch die Verflechtung von interdis-ziplinärer Reflexion und theologischer Interpretation, durch den Kenntnisreichtum internationaler theologischer Positionen, durch Eigenständigkeit in der Argumentation sowie den Bezug zur Le­bensrealität durch zahlreiche Beispiele. Die Vielzahl begrifflicher Differenzierungen und theoretischer Positionen lässt vielleicht an manchen Stellen ausführlichere Tiefenbohrungen vermissen. Die interdisziplinäre Breite und die gesellschaftliche Relevanz der Ausführungen gleichen dies jedoch aus und machen C.s Monographie zu einem lesens- und diskussionswürdigen Werk auch über die Grenzen der (theologischen) Fachwelt hinaus.