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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

322-323

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Koch, Anton Friedrich

Titel/Untertitel:

Philosophie und Religion. Im Auftrag d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften hgg. v. P. Graf Kielmannsegg u. B. Zimmermann.

Verlag:

Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2020. 134 S. = Heidelberger Akademische Bibliothek, 4. Lw. EUR 19,90. ISBN 9783520900043.

Rezensent:

Werner Schüßler

Der Titel der vorliegenden Schrift von Anton Friedrich Koch, Professor em. für Philosophie an der Universität Heidelberg, weckt Erwartungen, die aber leider nicht erfüllt werden. Eine Einleitung klärt darüber auf, »worum es geht und was zu diskutieren ist« (9–34); der erste Teil trägt den Titel »Der hermeneutische Realismus als hermeneutischer Atheismus« (35–74); der zweite Teil ist überschrieben mit »Auf der Suche nach der verlorenen Religion« (75–130). Ein Literaturverzeichnis (131–134) beschließt die Arbeit.
Gegen Ende der Einleitung skizziert K. sein Vorhaben so: »Im ersten [Teil] wird ein hermeneutischer Realismus aufgebaut und werden Thesen bewiesen, die keinen Raum für den Theismus zu lassen scheinen. Im zweiten Teil wird gezeigt, dass um des Glückes und der Gerechtigkeit aller willen nicht nur Religion überhaupt, sondern eine theistische Religion nottut, und wird sodann die theoretische Anstrengung unternommen zu zeigen, dass gegen allen Anschein ein prima facie widerspruchsfreier Nichtstandardtheismus konzipiert werden kann, und zwar ein solcher, der gerade die christliche Variante des Theismus privilegiert. Ein Gottesbeweis ist das nicht, nur eine Entkräftung der vorausgegangenen Argumentation für die Nichtexistenz Gottes.« (34)
Der erste Teil beginnt mit K.s »Subjektivitätsthese«, die ihm zufolge einem rein logischen Beweis recht nahekommt. Seltsamerweise gesteht er aber auch gleich zu, dass »nicht alle« diesen anerkennen werden: »Im Gegenteil, viele werden die Subjektivitätsthese für hoffnungslos verstiegen halten.« (35) Ich muss gleich dazu sagen, dass ich zu den von K. anvisierten »vielen« zähle. Gegen Descartes und Kant ist K. mit seiner Subjektivitätsthese der Überzeugung, dass Denken notwendig leiblich sei, und er begründet dies so: »Der Grund dafür ist der wesentliche Bezug des prädikativen Allgemeinen auf eine Sphäre möglicher Individuation und Mannigfaltigkeit, konkret das Raum-Zeit-Kontinuum, in welchem das prädikative Denken seine basalen logischen Subjekte finden und epistemisch individuieren und sich dazu selbst a priori epistemisch-ontisch individuieren muss als konkrete Tätigkeit eines leiblichen Einzelnen.« (47) Mit dieser These meint K., sowohl den Naturalismus als auch den Theismus widerlegt zu haben, da Ersterer das Denken »dualistisch als physikalische Realisierung funktionaler oder kausaler oder programmdefinierter Rollen« begreife, Letzterer »einen allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde« annehme. Demgegenüber sei seine »Leiblichkeitsthese« zum einen antidualistisch, zum anderen an endliche Subjekte gebunden, »von denen keines für die Rolle Gottes geeignet« sei (47). Es ist mir im Rahmen dieser Rezension nicht möglich, alle verschlungenen Wege dieser Kochschen Subjektivitätsthese nachzuzeichnen. Es sei hier nur noch angemerkt, dass in deren Rahmen Definitionen eingeführt werden – so z. B. in Bezug auf die Philosophie und die Metaphysik –, denen man aber so nicht zustimmen muss.
Im zweiten Teil sucht K. »nach der verlorenen Religion« – Proust lässt grüßen, der auch in § 12 (90 ff.) vorkommt. Gründe, am Theismus festzuhalten, können nach K. aber nicht mehr »theoretisch-wissenschaftlicher« Art sein, »sondern allenfalls, wie Kant sah, praktisch-moralischer« (75). Den Religionsbegriff macht K. wesentlich an Schleiermacher (77 ff.) und Hegel (85 ff.90 ff.) fest, um sich dann der »religionskritisch geläuterten« christlichen Religion in Form der »Resonanztheologie« von Gerd Theißen anzuschließen mit der Begründung, dass hier die christliche Religion, »die sonst dem Jenseits verschrieben« sei (an wen denkt K. hier wohl?), nicht zur Weltflucht anleite (87 f.). Gegen Ende der Schrift greift K. diesen Ansatz von Theißen noch einmal auf, und er zitiert in diesem Zusammenhang sogar das ganze Apostolische Glaubensbekenntnis (128 f.). Doch zuvor entwickelt K. noch seine Ethikotheologie (102 ff.120 ff.), der zufolge es im Angesicht des Genozids von Auschwitz »eines machtvollen Akteurs, der Gerechtigkeit schafft«, d. h. Gottes, bedarf (120). Damit sei zwar Gott nicht bewiesen, aber seine Existenz »als Prima-facie-Möglichkeit« offengehalten (125). Die Schrift schließt mit den Worten: »Die Wahrheit der religiösen Lehrinhalte […] kann kein Mensch beweisen. Entweder schauen wir, aber nicht hier und jetzt, oder wir glauben. Oder wir glauben nicht.« (130)
Die Argumentation von K. findet der in religionsphilosophischen Dingen durchaus bewanderte Rezensent wenig überzeugend, zum Teil recht verstiegen und zuweilen sogar kaum noch nachvollziehbar. Der Titel suggeriert auch eine breiter angelegte Studie, die sich nicht nur auf die von K. vertretene »Subjektivitätstheorie« und eine sehr spezielle Auswahl an Referenzdenkern be­zieht. Von daher hätte das auch in einem Untertitel deutlich zum Ausdruck kommen müssen. Und wenn die Herausgeber in ihrer Vorbemerkung (VII f.) davon sprechen, dass die »Heidelberger Akademische Bibliothek«, als deren vierter Band diese Schrift erschienen ist, ein Forum sein will, »auf dem die Mitglieder der Akademie sich auf eine neue Weise der interessierten Öffentlichkeit vorstellen können«, dann ist dieser Anspruch durch diese Schrift geradezu konterkariert.