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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

745-747

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

van den Brink, Gijsbert

Titel/Untertitel:

Reformed Theology and Evolutio-nary Theory. Foreword by R. J. Mouw.

Verlag:

Grand Rapids. u. a.: Wm. B. Eerdmans 2020. 328 S. Kart. US$ 39,99. ISBN 9780802874429.

Rezensent:

Dirk Evers

Gijsbert Van Den Brink ist Inhaber des 2015 begründeten Lehrstuhls für Theologie und Naturwissenschaften (Theology and Science) an der Freien Universität Amsterdam, die 1880 von orthodoxen Reformierten unter der Leitung von Abraham Kuyper gegründet wurde, um eine von staatlicher und kirchlicher Einflussnahme freie Hochschule im christlich-biblischen Geist zu schaffen. Sie ist heute säkular und in staatlicher Trägerschaft, hat aber immer noch eine Fakultät für Religion und Theologie. Die Forschung des Vf.s hat sich in den letzten Jahren mit Fragen der Kohärenz von Evolut ionsbiologie und klassischen theistischen Überzeugungen be­schäftigt. 2017 ist ein entsprechender Band auf Holländisch er­schienen, von dem nun die überarbeitete englische Version vorliegt. Sie verstärkt noch einmal den reformierten Fokus der Studie, der sie für den reformiert geprägten anglo-amerikanischen Raum interessant macht. Ein entsprechendes Kapitel eröffnet denn auch das Buch, indem es reformierte Theologie als Haltung (stance) vorstellt. Der Vf. verortet sich in einem plural aufgefassten Reformiertentum, bei dem nicht die eine oder andere historische Position (Schleiermacher und Barth werden als eher marginal angesehen), sondern die Bindung an das durch die Schrift vermittelte Wort Gottes, das die beständig zu reformierende Kirche in Bekenntnis und Leben bestimmen soll, im Zentrum steht. Zugleich wird mit Art. 2 der Confessio Belgica und gegen Karl Barth an der Möglichkeit einer aus dem Buch der Natur gewonnenen natürlichen Theologie festgehalten. Damit ist das Thema des Buches gegeben: Wie lässt sich die Evolutionstheorie für eine solche natürliche Theologie nutzen, und wie kann sie zu den biblischen Texten über Natur und Schöpfung und zu orthodoxen reformierten Traditionen in Beziehung gesetzt werden?
Dazu stellt der Vf. zunächst einmal sein Verständnis der Evolutionstheorie vor, das er von einem ideologischen Evolutionismus absetzt und bei dem er verschiedene Grundgedanken (Gradualismus, gemeinsame Abstammung, natürliche Selektion vs. Intelligent Design u. a.) unterscheidet. Als Standardtheorie und für seine Abhandlung zentralen Bezugspunkt stellt er die neo-darwinistische Synthese vor und geht entsprechend auf jüngste Entwicklungen wie die der Extended Evolutionary Synthesis nur am Rande ein. I hm geht es um die Grundgedanken und großen Themen. Das nächste Kapitel behandelt dann allgemein die Frage nach der Schrifthermeneutik. Das Beispiel der Durchsetzung des heliozentrischen Weltbilds soll auch reformierten Traditionalisten zeigen, dass ein verändertes Verständnis der natürlichen Welt Einfluss auf die Interpretation der biblischen Texte haben kann, ohne dass damit zentrale theologische Gehalte auf dem Spiel stehen. Das liefert die Grundfigur für die folgenden Kapitel: Welche Folgen hat es für zentrale reformierte theologische Lehrstücke, wenn man die Grundeinsichten der Evolutionstheorie akzeptiert?
Zunächst wird dazu die Theodizeefrage in Bezug auf die natürlichen Übel, also das Leiden der Kreatur behandelt. Der Vf. stellt die Grundzüge einer evolutionsbiologischen Sicht der Artenentwicklung vor und schließt dann eine Verknüpfung des Sündenfalls des Menschen mit dem Leiden der Tiere aus. Unbefriedigend findet er auch Erklärungen durch einen Plan Gottes oder dämonische Kräfte. Für ihn bleibt ein skeptischer Theismus, demzufolge der sündige Mensch nicht in der Lage ist, die tieferen Gründe für Gottes Zulassung des Übels zu erfassen, die plausibelste Perspektive, vor allem mit Rücksicht auf »Reformed sensibilities« (134). Dann jedenfalls stellt die Evolutionstheorie den christlichen Glauben vor keine größeren Herausforderungen als die traditionelle Frage nach der Vereinbarkeit natürlichen Leidens mit der Güte Gottes. Auf analoge Weise arbeitet sich das nächste Kapitel an der Frage nach der besonderen Schöpfung und Würde des Menschen als des Ebenbilds Gottes ab und sucht herauszustellen, dass man auch im Lichte der Evolutionstheorie an der besonderen Berufung und Begabung des Menschen als Gottes Ebenbild festhalten kann, ohne damit andere Geschöpfe herabzuwürdigen, wobei der besondere Bund Gottes mit dem Menschen nicht direkt aus der Natur, sondern letztlich nur aus der Schrift erkannt werden kann. Dem besonderen Fokus reformierter Föderaltheologie trägt das nächste Kapitel über Evolution und Bundestheologie dann dezidiert Rechnung. Hier geht es in besonderer Weise um die Auslegung von Gen 2 und 3 und die Entstehung des modernen Menschen. Der Vf. entwickelt ein historisches Verständnis des Sündenfalls als eines dramatischen Übergangs aus einem Stand der Unschuld in die Sünde, der mit der Erwählung des Menschen koinzidiert. Der Vf. spekuliert sogar über die Möglichkeit, ob nicht die ersten Menschen, wenn sie nicht gesündigt hätten, unsterblich gewesen wären, so dass man Paulus’ These vom Tod als dem Lohn für die Sünde jedenfalls nicht ausschließen kann. Jedenfalls ist der Bund Gottes mit den (modernen) Menschen die Offenbarung der besonderen Stellung des Menschen, die nicht aus empirisch-biologischen Eigenschaften abgelesen werden kann. Im folgenden Kapitel wird dann die Vorsehungslehre mit der Evolution kompatibel gemacht, weil Gott seine Weltregierung auch mit den Mitteln der Evolution ausüben und auch echten Zufall in seinen Plan integrieren kann. Den Schluss der inhaltlichen Auseinandersetzung bildet eine Erörterung der Entstehung von Moralität und Religiosität aus evolutionsbiologischer Sicht. Hier findet sich eine Auseinandersetzung mit der Soziobiologie (u. a. E. O. Wilson) und der Cognitive Science of Religion, die die Entstehung von religiösen Konzepten empirisch-kognitionswissenschaftlich erforscht und in einen evolutionsbiologischen Rahmen einzeichnet. Das Kapitel bietet eine gute Einführung in diese Theorien. Auch hier verteidigt der Vf. wieder grundsätzlich eine qualifizierte Kompatibilität mit der reformierten Tradition, in diesem Fall mit der Offenbarung, die Gottes Willen in Sachen Moral und Religion kommuniziert. In einem kurzen Schlusskapitel erörtert der Vf. dann noch kurz, warum es über die von ihm behandelten Lehrstücke hinaus » no need for future adaptations« (267) gibt. In der Eschatologie, bei den Wundern, in der Schöpfungslehre, Christologie, Pneumatologie und Ekklesiologie kann alles so bleiben, wie es ist. Damit wendet sich der Vf. auch explizit gegen konstruktive Verbindungen von Evolutionstheorie und Theologie wie die von Gerd Theißen oder Teilhard de Chardin. Zum einen, so der wirklich nur als konservativ zu bezeichnende Einwand, würde damit die Kontinuität zum geschichtlichen orthodoxen Christentum aufgegeben, zum anderen würde man damit möglicherweise problematischen Grundzügen der Evolutionsbiologie eine Art theologisch positiven Status geben und sie nicht mehr nur als Herausforderungen des Glaubens, sondern als eigentliche Glaubenssätze verstehen.
Der Vf. hat ein gut zu lesendes, phasenweise durchaus anregendes apologetisches Buch geschrieben – eine in der deutschen pro-testantischen Theologie rare Gattung. Er bleibt bei einer grundsätzlich defensiv-konservativen Haltung, die alle Adaptionen so minimal wie möglich zu halten sucht und Übergänge zu einem mehr konstruktiven Umgang mit der Evolutionstheorie allenfalls referiert oder andeutet. Seine Referenzpunkte sind der englischsprachige Dialog zwischen science and religion, Alvin Plantinga und die von ihm geprägte reformed epistemology sowie die sogenannte analytische Theologie (z. B. Oliver D. Crisp), die einen klassischen Theismus konsistent in Aussagesätzen zu formulieren und zu rechtfertigen versucht. Wie auch sonst in den entsprechenden Ver-öffentlichungen im anglo-amerikanischen Raum sucht man historische Kontextualisierung oder Brechung ebenso vergeblich wie hermeneutische Überlegungen zu Sprachspielen oder Perspektivenverschränkungen. Die propositionalen Gehalte der reformatorischen Traditionen, und von daher wegen des Schriftprinzips auch die der biblischen Texte, werden auf einen Sachgehalt reduziert und einem Faktencheck unterzogen. Dabei sind die Referate von anderen Positionen gut gelungen, und man wird in einige der gängigen englischsprachigen Debatten um das Verhältnis von Evolution und theistisch-theologischen Konzepten gut eingeführt.