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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

901–903

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Sheperd, David J., Joosten, Jan, and Michaël N. van der Meer [Eds.]

Titel/Untertitel:

Septuagint, Targum and Beyond. Comparing Aramaic and Greek Versions from Jewish Antiquity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. VIII, 356 S. = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 193. Geb. EUR 116,00. ISBN 9789004416710.

Rezensent:

Martin Rösel

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Septuaginta-Forschung als eigener Arbeitsbereich der Bibelwissenschaft etabliert. Etwas im Schatten davon steht die Erforschung der aramäischen Übersetzungen und der Targumim. Sie verdienen gleichwohl eine größere Aufmerksamkeit, weil sie zum einen ebenfalls bis in vorchristliche Zeit zurückgehen, wie etwa die aramäische Hiob-Übersetzung aus Qumran und Teile der aramäischen Prophetenübertragung. Zum anderen geben sie stärker noch als die LXX Einblick in frühe Aus-legungstraditionen, so dass sie ein unverzichtbares Element der Rezeptionsgeschichte hebräischer Bibeltexte sind. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die Beziehungen zwischen beiden Übersetzungstraditionen in dem anzuzeigenden Sammelband thematisiert und nachgezeichnet werden. Er geht zurück auf eine gemeinsame Tagung der International Organisations for Targumic Studies and for Septuagint and Cognate Studies im Rahmen des IOSOT-Kongresses in Stellenbosch im Jahr 2016.
Die Sammlung wird eröffnet durch die »Introduction« (1–10) der Herausgeber, die kurz in Problematik und Forschungsgeschichte zur Beziehung zwischen griechischen und aramäischen Bibelübersetzungen einführt und danach die einzelnen Aufsätze in knappen abstracts vorstellt. Im ersten Hauptteil, überschrieben mit »Fresh Approaches to Septuagint/Old Greek and Targum« werden ausgewählte Textpassagen in ihren griechischen und aramäischen Versionen untersucht und einander gegenübergestellt. So werden die charakteristisch unterschiedlichen Übersetzungsweisen deutlich, zugleich aber auch das gemeinsame Reagieren auf bestimmte Probleme des hebräischen Ausgangstextes. Die Artikel im Einzelnen:
Johann Cook, Reflecting on the Creation (תישארב): a Comparison of Genesis 1 in the Pentateuchal Targumim and the Septuagint, 13–36; C. T. Robert Hayward, The Passover of Egypt in Septuagint and Targum of Exodus 12, 37–57; Michaël N. van der Meer, The Greek and Aramaic Versions of Joshua 3–4, 58–100; Jeremy M. Hutton, Optimal Translation in LXX and Tg. Jon. of 1 Samuel 1:1–5: Outline of a Comparative Theory of Translation Technique, 101–128; Paul Sanders, No Death without Sin on the New Earth: Isaiah 65:20 in Hebrew, Greek and Aramaic, 129–140; Arie van der Kooij, The Old Greek of Isaiah and the Isaiah Targum: What Do They Have in Common?, 141–156; Jan Joosten, Targum Jonathan and Its Relation to the Septuagint in the Book of Hosea, 157–173; Anne-Françoise Loiseau, The Premature Death of the Wicked in the Old Greek of Proverbs, 174–193.
Die Resultate dieser Studien liegen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Während Cook bei den aramäischen Übersetzungen in Gen 1 die Tendenz zur Betonung der guten Schöpfungsordnung auch gegen die christliche Idee der Erbsünde herausstreicht, wehrt er bei der LXX die Idee einer Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie ab. Hayward zeigt am Beispiel von Ex 12, dass griechische und aramäische Übersetzung auf gemeinsame Auslegungs- bzw. Anwendungstraditionen verweisen, ohne dass literarische Ab­hängigkeit anzunehmen ist. Van der Meer zeigt detailliert (und mit einer hilfreichen Synopse im Anhang), wie unterschiedlich die beiden Versionen bei der Wiedergabe des Ausgangstextes verfahren. Dabei weist der texttreuere Targum Jonathan überraschende Parallelen mit der griechischen Symmachus-Version auf. J. Hutton erläutert am Beispiel von 1Sam 1, dass die Übersetzer nicht einer festgelegten Übersetzungstechnik folgten, sondern sich um optimale Wiedergabe verschiedener Phänomene (z. B. Wortfolge, Einzelelemente) be­mühten. Damit wird das viel diskutierte »Paradigma der Inter-linearität« auf interessante Weise modifiziert. Die Aufsätze von P. Sanders und A. van der Kooij sollten am besten nacheinander in umgekehrter Reihenfolge gelesen werden. Sie belegen, dass die Jesaja-Übersetzungen grundsätzlich einen vergleichbaren, interpretativen Zu­gang zum Text wählten, auch wenn die Ergebnisse differierten. Die letzten beiden Studien dieses Abschnitts beschäftigen sich mit Ab­hängigkeiten zwischen den Versionen. J. Joosten sieht in Hos 12,1 Gründe für die Annahme, dass der Targum-Übersetzer von der LXX her beeinflusst war. A.-F. Loiseau macht wahrscheinlich, dass der griechische Proverbien-Übersetzer bei der Wiedergabe von סמָָחָ »Gewalttat« von aramäischen Wortbedeutungen her beeinflusst war, was wiederum bis in die Vulgata hinein wirkte.
Der zweite Hauptteil ist mit »Beyond Targum and LXX« überschrieben, hier wird der Blick auf größere Zusammenhänge hin geweitet, etwa die soziologischen und kulturellen Bedingungen, unter denen die Übersetzer arbeiteten, oder linguistische Fragen: James K. Aitken, The Septuagint and Jewish Translation Traditions, 197–227; David J. Shepherd, See God and Die? Job’s Final Words (42:6) according to His First Aramaic and Greek Interpreters, 228–248; Alun Morton Thomas, A Comparative Study of the Translation Techniques of the Old Greek and Qumran Aramaic (4Q156) Versions of Leviticus, 249–270; Christian Stadel, More Evidence for a Samaritan Greek Bible: Two Septuagint Translation Traditions in the Samaritan Targum; 271–288; Shijra Snoi, Targum Onqelos and Rabbinic Interpretation in the Jewish Greek Translations of the Bible; 289–316; Eveline van Staalduine-Sulman, Simeon the Just, the Septuagint and Targum Jonathan, 317–338. Stellen- und Autoren-Index erschließen den de­tailreichen Band.
Der Überblicksaufsatz von J. Aitken eignet sich sehr gut als Einführung für Leser und Lehrerinnen, die mit der komplexen Thematik noch nicht so vertraut sind; Aitken plädiert dafür, die Grenzlinien der Spezialisierung zu lockern und beide Übersetzungstraditionen bei der Beschäftigung mit jüdischer Literatur stärker zu berücksichtigen. D. J. Shepherd erklärt am Beispiel von Hiob 42,6, dass die LXX eher mit den in Qumran belegten aramäischen In-terpretationslinien als mit späterer Targumauslegung übereinstimmt, was ebenfalls für gemeinsame Auslegungstraditionen spricht. Ähnlich, aber stärker auf sprachliche Phänomene zielend sind die Ergebnisse des Aufsatzes von A. M. Thomas zu Leviticus. C. Stadel lenkt den Blick auf das sogenannte Samareitikon, eine griechische Übersetzung des Samaritanischen Pentateuch, die ihrerseits wieder – so die hier zusammengestellten Beobachtungen – auf samaritanische Targumübersetzungen eingewirkt hat. Noch weiter weg vom üblichen Kanon der LXX-Forschung führt der Beitrag von S. Sznol, die zeigt, wie spätere »Judaeo Greek translations« einerseits auf ältere LXX-Rezensionen zurückgehen, andererseits von rabbinische Auslegung geprägt werden und in andere jüdische Übersetzungen (z. B. Ladino) weiterwirken. Der letzte Aufsatz der Sammlung vollzieht am Beispiel der Gestalt des Simeon aus Lukas 2 nach, wie komplex rezeptionsgeschichtliche Phänomene sein können, da dieser Simeon in christlicher und jüdischer Tradition gleichermaßen mit der LXX-Übersetzung wie mit Targum Onkelos in Verbindung gebracht wird.
Der Sammelband gibt auf hohem Niveau Einblicke in die Vielfalt der Forschung an den antiken Bibelübersetzungen. Dabei setzt setzt er einiges Wissen über diese Versionen und ihre Verästelungen, z. B. Samaritan. Targum und Samareitikon voraus. Er belegt, dass diese Übersetzungen nicht nur um ihrer selbst willen ein lohnenswerter Forschungsgegenstand sind, sondern zugleich Zugang zur Vielfalt jüdischer Überlieferung eröffnen. Zugleich ist aber auch deutlich, dass die Übersetzungen nur dann ganz verstanden werden können, wenn sie vor dem Hintergrund der jüdischen Traditionsliteratur gesehen werden.