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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

981–983

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klaiber, Judith

Titel/Untertitel:

Werte:Bildung in Führung. Zur Rolle von Werten bei Führungskräften und dem Design einer werte:bilden-den Führungspastoral.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2020. 312 S. = Angewandte Pastoralforschung, 8. Kart. EUR 42,00. ISBN 9783429054731.

Rezensent:

Tobias Brügger

Wie kann Kirche Manager bzw. Managerinnen abholen und begleiten? Was kann Kirche Führungskräften bieten? Solchen Fragen geht Judith Klaiber in ihrer Dissertation nach, welche als Band 8 der Reihe »Angewandte Pastoralforschung« im Echter Verlag erschienen ist. Das Projekt wurde von Christian Friesl am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien betreut. Friesl leitet dort den Forschungsverbund »interdisziplinäre Werteforschung«, an dessen Arbeit sich die Dissertation methodisch anlehnt (61).
Die Studie verortet sich in der katholischen Pastoraltheologie und beinhaltet Querbezüge zur Führungsforschung und zur Werteforschung. Die Arbeit ist vom Ziel des »Design[s] einer werte:bildenden Führungspastoral« geprägt. K. identifiziert zwei Kernthemen, Führung und Werte(bildung), und stellt fest, dass es kaum Forschung zu »handlungsleitenden Werten, sowie deren Genese und Relevanz bei Führungskräften« (25) gebe.
Im Abschnitt »Orientierung« (16–58) skizziert K. ihren pastoraltheologischen Ansatz. Pastoraltheologie fragt danach, was Kirche tun kann und soll (51). Dabei geht es um ein Aggiornamento, die Darstellung und Vermittlung des Evangeliums für gegenwär-tige Kontexte (47). Die Studie bearbeitet drei Hauptfragen: »Wie geschieht Wertebildung bei Führungskräften?«, »Welches wertorientierte Selbstverständnis lässt sich bei Führungskräften analysieren?« und »Welche Relevanz mit möglichen Handlungsoptionen ergibt sich daraus für Kirche?« (57). K. führte dazu vier Fokusgruppengespräche mit insgesamt 19 Führungskräften unterschiedlicher Hierarchiestufen aus Österreich durch, welche sie über verschiedene Führungskräftenetzwerke und über private Kontakte rekrutierte (66). Die Gespräche wurden mit der Frage nach Erlebnissen, die für den jetzigen Führungsstil der Teilnehmenden prägend waren, eröffnet und durch Fragen zur Genese und Bedeutung von Werten vertieft. Die Ton- und Bildaufnahmen der Gespräche wurden anhand der dokumentarischen Methode nach Bohnsack ausgewertet (69). Die Ergebnisse werden im Abschnitt »Design« (59–140) dargestellt und in acht thematische Cluster gegliedert: Biographie, Führungs-Biographie, Persönlichkeit/Identität, Krisen/ Wandel, Nachdenken über Führung, Kraftquellen, Führungsverständnis und Existentiale.
Im anschließenden Abschnitt »Architektur« referiert K. breit Literatur zu den Themen »Führung« (141–180), »Werte und Wertebildung« (181–228) und »Theologische Anthropologie« (228–255). Für ein pastoraltheologisches Führungsverständnis knüpft K. an Norbert Schusters Theologie der Leitung an, welche Gott als Ausgangspunkt und das Heil des Menschen als Ziel von Führung bestimmt (159). K. selbst setzt als Ausgangs- und Zielpunkt von Führung die »Anerkenntnis der Existenz Gottes im unverfügbaren Geheimnis Mensch« (180). Führung beinhalte dabei das Wahrnehmen von Lebensgeschichten, die Entdeckung der Anwesenheit Gottes und Orientierungshilfe zu einem gelungenen Leben (180).
Werte versteht K. in Anlehnung an Hans Joas als Konzepte des Wünschenswerten (226). Wertekompetenz beinhalte die Entwicklung eines eigenen Wertesystems und die Kompetenz, mit Wertevielfalt konstruktiv umzugehen. Subjektive Wertbildungsprozesse benötigen Begleitung durch ein Gegenüber. Diese personale Dimension werde in der Literatur zwar erwähnt, aber es fehle die Betonung ihrer Relevanz und eine entsprechende Ausarbeitung (228).
Im Abschnitt »Reflexives Lernen und Tun« (256–279) skizziert K. Konturen einer pastoralen Wertebildung für Führungskräfte. Dabei gehe es um das Zurverfügungstellen von Reflexions- und Resonanzräumen (272), in welchen supervidierter und seelsorgerlich begleiteter Austausch zwischen Führungskräften ermöglicht wird (261). Wichtig sei dabei ein biographischer Zugang. Damit können pastorale Begleitangebote einen Beitrag zur Selbstbildung von Führungskräften leisten (263).
Abschließend hält K. Ergebnisse zu den drei Forschungsfragen fest (277–279). Erstens, Werte und Wertebildungsprozesse erscheinen in Erzählungen von Führungskräften als ein ständig präsentes Grundrauschen (278). Es fehle aber eine systematische Bearbeitung und institutionelle (kirchliche) Verankerung von Wertebildung. Zweitens, Führungskräfte erscheinen K. als menschlich und nahbar und als mit verschiedenen Aufgaben- und Spannungsfeldern ringende Persönlichkeiten. Drittens, Führungskräfte benötigen supervidierte Austauschmöglichkeiten als vertrauensvolle Reflexions- und Resonanzräume jenseits kompetitiver und rein funktionalistischer Umgebungen. Der »christliche Glaube an einen ge­kreuzigten Gott« kann dabei als kritisches Korrektiv und als Orientierung für verantwortliche Reflexion dienen (278 f.).
Es erinnert an Marktlogik, wenn K. von Führungskräften als Klientel schreibt und von Kirche als Anbieterin, welche in Konkurrenz zu anderen Anbietern professionelle Angebote für das Milieu der Führungskräfte zur Verfügung stelle (21.256.261). Dennoch erscheint jenseits von Marktdenken als wichtiges Anliegen der Arbeit die echte Anteilnahme am Ergehen von Führungskräften, wie sie auch im (aus Gaudium et Spes abgewandelten) Eingangszitat anklingt: »Die Hoffnung und Freude, die Trauer und Angst von Führungskräften sind Hoffnung und Freude, Trauer und Angst von JüngerInnen Christi.« (5) Mit der Anteilnahme von Jüngern Christi am Ergehen von Führungskräften und der Frage nach kirchlichen Angeboten für Letztere nimmt die Arbeit wichtige Themen auf. Zwei übergeordnete Anmerkungen dazu:
Erstens, der Weg ist hier (zumindest teilweise) das Ziel. Mit den für die Forschung durchgeführten Gesprächen ist bereits ein wichtiger Aspekt der vorgeschlagenen Lösung demonstriert: Das Eröffnen von Reflexionsräumen und Austauschmöglichkeiten ermöglicht gegenseitige Anteilnahme und ein Stück Begleitung.
Zweitens, eine Frage bleibt offen: Warum der Fokus auf Werte? Er erscheint als gesetztes Axiom. Die Strategie leuchtet auf den ersten Blick ein, den Werte-Begriff als Brückenkonzept zwischen Kirche und Führungskräften einzusetzen. Damit, so anscheinend die Kalkulation, kann ein gemeinsamer thematischer Boden ge­setzt werden, auf dem sich das, was Kirche zu bieten hat, und das, was Führungskräften wichtig ist, überschneiden. Die Verwendung des Begriffs bringt aber Irritationen mit sich. K. beschreibt zum einen die Schwammigkeit des Begriffs, zum anderen die Holprigkeit im Übergang von konkreten biographischen Erzählungen zur abstrakten Wertethematik in den Gesprächen (67). Sie rettet die Relevanz des Begriffs mit dem Hinweis auf Wert-Bezüge als Grundrauschen in den biographischen Erzählungen. Dass in solchen Erzählungen Wertungen mitschwingen, leuchtet ein. Aber weshalb sollen gerade sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken? Zu fragen wäre nach alternativen Zugängen kirchlicher Arbeit mit Führungskräften und danach, was man durch den Fokus auf den Wertebegriff gewinnt oder allenfalls verliert. Erwägen könnte man, Wertebildungsprozesse nicht als alleinigen Hauptfokus zu setzen, sondern auch eine mögliche »Tyrannei der Werte« in Betracht zu ziehen und diese in Bezug zu setzen zu christlicher Erfahrung wertloser (Eberhard Jüngel) Wahrheit. So oder so: Ich wünsche der Arbeit K.s, dass sie beiträgt zur Entstehung solcher von ihr anvisierten Räume der Begegnung, der Orientierung und der Entdeckung der Anwesenheit Gottes.