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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

178–180

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Rudolf, u. Oscar Cullmann

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1926–1967. Hgg. v. M. R. Jost, M. Sallmann u. B. Schliesser.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. X, 316 S. Lw. EUR 89,00. ISBN 9783161616013.

Rezensent:

Michael Hackl

Neben der Edition des Briefwechsels zwischen Rudolf Bultmann und Oscar Cullmann liefert der Band eine umfangreiche Aufarbeitung der Beziehung der beiden Neutestamentler, sowohl auf persönlicher als auch auf fachlicher Ebene. Obwohl der Briefwechsel über 40 Jahre andauert, beschränkt sich die aufgefundene Korrespondenz auf lediglich 43 Briefe und Postkarten. Der Briefwechsel ist nicht vollständig erhalten, u. a. fehlt die Korrespondenz in Bultmanns Nachlass fast zur Gänze (57). Neben dem sorgfältig edierten Briefwechsel enthält der Band eine editorische Einleitung (M. Jost), umfassende Sachanmerkungen, einen Brief von Cullmann an Bultmanns Tochter, Register sowie die auf ein Berner Symposium zurückgehenden Forschungsbeiträge zu Cullmann und Bultmann.

Das Gespräch zwischen den beiden Theologen beginnt mit einem Brief vom Juni 1926, darin dankt Bultmann Cullmann für eine Zusendung, was darauf hindeutet, dass der »Erstkontakt« durch Cullmann erfolgte (58). Thema sind neben Dankesworten für zugesandte Publikationen, Gesprächen zu Rezensionen auch Einladungen von Studierenden nach Marburg bzw. Straßburg. 1929 bemüht sich Cullmann um Bultmanns Mitwirkung an der Revue d’Histoire et de Philosophie religieuses. Dieser zeigt sich offen, äußert aber zugleich Bedenken, weil er gehört habe, dass die Revue von einem Comité unterstützt wird, welches sich »die Bekämpfung der deutschen Sprache im Elsaß« zur Aufgabe gemacht hat (11). Auf Cullmanns Versicherung hin, dass dies nicht der Tatsache entspricht (11‒16) ‒ die Revue sei vielmehr bestrebt, ein »Binde- glied zwischen der deutschen und französischen Theologie« zu sein (14) –, stimmt Bultmann der Publikation seines Aufsatzes »in französischer Sprache« zu (17). Der Briefkontakt bezeugt Cullmanns Wertschätzung für Bultmanns politische Haltung; 1933 schreibt er mit Blick auf dessen Schrift Der Arierparagraph im Raume der Kirche, dass wir »[auf]atmen«, weil in Deutschland noch ein »reines, unpolitisches Christentum« verkündet wird (25). Von 1935 bis 1948 gibt es kaum Briefkontakt, lediglich ein Brief von 1944 ist erhalten. Das ist insofern bemerkenswert, als dass beide, wie Jost in seiner Einleitung festhält, gerade in dieser politisch schweren Zeit »theo-logisch bedeutsame Werke« veröffentlicht haben (60). Bultmann veröffentlicht beispielsweise die Schriften Neues Testament und Mythologie sowie Offenbarung und Heilsgeschehen, Cullmann wiederum Christus und die Zeit (vgl. 60–62).

Obzwar der Briefwechsel, wohl bedingt durch die politische Lage, fast abbricht, unterstützt Cullmann Bultmann nach dem Krieg mit Nahrungsmittelpaketen (32). Im Dankesbrief vom Januar 1948 zeigt sich Bultmann erfreut über Cullmanns »freundschaftliche Gesinnung« (32), kommt aber sogleich auch auf Fachliches zu sprechen und erhebt »einige Einwendungen« gegen Cullmanns Schrift Christus und die Zeit (33). Ungewohnt deutlich wird Bultmann im Brief vom 4.11.1954, darin sieht er sich wegen Cullmanns Aufsatz über die ἐξουσίαι in Röm 13,1 zum erneuten »Widerspruch gereizt«. Cullmanns Überlegungen seien ihm »völlig unverständlich«, er sieht in dessen Interpretation eine »groteske Missdeutung« (48 f.).

Diese Briefe machen die zentrale Kritik von Bultmann an Cullmann sichtbar, welche wohl der Grund dafür ist, dass der Briefwechsel erneut abflaut. Eine neuerliche Annäherung dürfte schwierig gewesen sein, weil Cullmann, wie Jost pointiert zusammenfasst, aus der Einmaligkeit der Geschichte die theologische Bedeutung ableitete, während Bultmann die »existentiale Dimension der Theologie« ins Zentrum seines Denkens stellte (70). Dass sich Bultmann der Differenzen bewusst war, aber dennoch die Annäherung suchte, davon zeugt einer der wenigen Briefe aus den 1960er Jahren. 1967 spricht er von der Einsicht, »auch aus dem Widerspruch zu lernen« (55, vgl. 53). Wie schon in einem früheren Brief von 1948 angemerkt, wäre ihm ohnehin daran gelegen, seine Kritik im »mündlichen Gespräch« darzulegen (49); ein solches hat aber, trotz mehrerer Versuche, nur selten stattgefunden.

In den folgenden Kapiteln wird das Verhältnis von Bultmann und Cullmann unter mehreren Gesichtspunkten beleuchtet: Zunächst geht es um die Entwürfe im Gespräch, sodann steht die hermeneutisch-theologische Diskussion und die Exegese im Fokus, abgeschlossen wird die Betrachtung mit einem kurzen zeitgenössischen Rückblick.

Die Beiträge zu Die Entwürfe im Gespräch werden von C. Landmesser, M. Arnold und B. Schliesser beigesteuert. In seiner präg-nanten Rekonstruktion wendet sich Landmesser sowohl Cullmanns linearem Zeitverständnis als auch Bultmanns Standpunkt zu und verdeutlicht, dass nach Bultmann die »Theologie nicht die Aufgabe hat, über eine ferne Zukunft zu spekulieren«, ihre Aufgabe ist es, die »Gegenwart der Glaubenden im wissenschaftlichen Diskurs zu erhellen« (98). Arnold fokussiert sich wiederum auf Bultmanns Bedeutung für Cullmanns Schaffen, dabei differenziert er mit Blick auf Cullmann zwischen den kritischen Standpunkten Bultmanns und jener der Bultmannschen Schule (124 f.). Den Abschnitt beschließt Schliesser mit der Rekonstruktion der konkurrierenden Konzepte von Glauben und Geschichte bei Bultmann und Cullmann, er weist darauf hin, dass der Dialog »im Modus gegenseitiger Abgrenzung« stattgefunden hat (148).

Im Kapitel Zur hermeneutisch-theologischen Diskussion finden sich die Aufsätze von A. Käfer und E. Broadhead. Käfer beschäftigt sich mit dem Mythos bzw. der Entmythologisierung sowie dem Geschichtsverständnis. Beide Themenfelder sind, wie aufgezeigt wird, nicht voneinander abzukoppeln, vielmehr ist es so, dass die »Ansichten über Mythos und Entmythologisierung […] durch ihr jeweiliges Geschichtsverständnis bedingt« sind (170). Diese Darstellung eröffnet einen vertieften systematischen Blick auf das Theologieverständnis von Bultmann und Cullmann. Broadhead seinerseits beschäftigt sich mit der Christologie Cullmanns und setzt diese mit Bultmann in Dialog. Den Fokus legt er nicht bloß auf die Gegensätze, sondern entfaltet ein gemeinsames, im Hintergrund stehendes Narrativ: »Both the re-historicized kerygma of Bultmann and the rediscovered salvation history of Cullmann are rooted in the essential human experience of remembered history – of storytelling.« (186)

Der Exegese wenden sich J. Frey, S. Krauter und S. Vollenweider zu. Frey bespricht die Johannesinterpretation (vgl. 206.208 f.) von Cullmann und Bultmann und kritisiert diese hinsichtlich ihrer jeweiligen Geschichtsauffassung. Cullmanns Lizentiatsarbeit zu den Pseudoclementinen bespricht Krauter, wobei er hier wichtige Bezüge zu Cullmanns späteren Arbeiten herstellt. Vollenweider diskutiert in seinem Beitrag Cullmanns Eschatologie, darin entfaltet er dessen »universale[s], kosmologische[s] Rahmenwerk« und stellt in Hinblick auf Cullmanns Vorstellung von Unsterblichkeit Verbindungen zur Neuropsychologie her (252).

Den schließenden zeitgenössischen Rückblick auf Cullmann und Bultmann liefert K. Froehlich. Er betont deren theologische Differenzen und weist darauf hin, dass diese das »problem of history to the theological problem of faith and self-understanding« betreffen (304). Die Widersprüche von Bultmann und Cullmann sind nicht beiseitezuschieben, die Beiträge wie auch der Briefwechsel machen aber deutlich, wie sich deren theologische Arbeiten wechselseitig beeinflussten. Der Band vermittelt eine gute Einsicht in das Verhältnis von Cullmann und Bultmann und hilft darüber hinaus, Cullmanns Werk zu erschließen.