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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

697-699

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Huber, Matthias

Titel/Untertitel:

»Seh’ ich den Himmel, das Werk deiner Finger«. Biblische Schöpfungstexte als Modelle zur Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Herder 2021. 690 S. = Freiburger theologische Studien, 196. Lw. EUR 98,00. ISBN 9783451391460.

Rezensent:

Bernd Janowski

Als O. Keel und S. Schroer ihr Buch Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, 2002/22008 publizierten, kehrte das Thema »Schöpfung« nach den grundlegenden Arbeiten von O. H. Steck aus den 1970/80er Jahren (Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, 1975/21981; Welt und Umwelt, 1978; Die Herkunft des Menschen, 1983 u. a.) wieder in die theologische Diskussion zurück. Keel/Schroer knüpfen dabei zwar nicht direkt an O. H. Steck an, nehmen die Aspekte »Natur« und »Umwelt« aber in vergleichbarer Weise ernst. »Das vorliegende Buch«, so heißt es im Vorwort, »handelt schwerpunktmäßig von den biblischen Versuchen, die Welt als gelungene und gesegnete Schöpfung zu begreifen« (5). Und weiter: Die alttestamentlichen Schöpfungstraditionen sind als »konstitutive Glaubenszeugnisse der JHWH-Religion« (13) zu verstehen und für aktuelle Fragen fruchtbar zu machen. Darüber hinaus spielt in ihrer Darstellung, die in den ikonographischen Arbeiten O. Keels eine längere Vorgeschichte hat, der altorientalische Kontext (Bilder und Texte) der alttestamentlichen Schöpfungstexte eine konstitutive Rolle.

Die umfangreiche Darstellung von Matthias Huber, die auf eine 2019 an der Katholisch-theologischen Fakultät Freiburg i. Br. eingereichte Dissertation zurückgeht, hat einen anderen Fokus als die Monographie von Keel/Schroer. Gemäß dem Untertitel seines Buchs versucht der durch ein Doppelstudium der Physik und Theo-logie ausgewiesene Vf., die »Biblische(n) Schöpfungstexte als Modelle zur Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie« darzustellen und damit einen Ansatz zu präsentieren, der sich auf exegetischem, systematisch-theologischem, philosophischem und naturwissenschaftlichem Terrain bewegt (vgl. 9). In dieser Verbindung von Naturwissenschaft und Theologie erweisen sich die biblischen Schöpfungstexte als »modellhaft«, so der Vf. durchgängig, für die Beantwortung von Gegenwartsfragen.

Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen, das auch auf knapp 700 Seiten nicht eingelöst, zumindest aber in Umrissen skizziert werden kann. Die Frage ist natürlich diejenige der Methode, der Durchführung sowie der Text- und Themenauswahl. Nach ausführlichen Vorbemerkungen zur Standortbestimmung, zur Zielsetzung und zur Methodik (Kapitel 1.1: 25–46; 1.2: 47–86), die zuweilen wie ein bunter Blumenstrauß aus diversen Lesefrüchten anmuten, konkretisiert der Vf. sein methodisches Vorgehen. Dieses besteht darin, dass die Erschließung der ausgewählten Texte mit einer Arbeitsübersetzung (samt text- und literarkritischen Anmerkungen) beginnt (Textkonstitution), auf die eine Analyse von Aufbau, Form und Struktur (Textindividualität) sowie eine Beschreibung geprägter Motive, Traditionen und Gattungsmerkmale (Texttypik) folgt. Dieser Dreischritt, der nichts Neues darstellt, sondern in der Exegese immer schon gemacht wurde und wird, bestimmt den Aufbau der exegetischen Kapitel des Buchs (2.1–2.4: 89–453). Schließlich wird »auf der Ebene der Textverankerung nach dem literarischen und lebensweltlichen Kontext sowie nach Ort und Zeit der Textentstehung gefragt« (84). Auch das versteht sich von selbst. Gleichwohl sind die exegetischen Abschnitte des Buchs sorgfältig gearbeitet und verraten eine Vertrautheit des Vf.s mit den wichtigsten Positionen der Forschung. Insgesamt 15 Tabellen veranschaulichen die Struktur der untersuchten Texte (s. die Übersicht 642). Den jeweiligen Abschluss – und das ist neu – bilden Überlegungen zu möglichen Anknüpfungspunkten für den aktuellen naturwissenschaftlich-theologischen Diskurs. Freimütig räumt der Vf. dabei einen gewissen hermeneutischen Zirkel ein. So beeinflusst die leitende Fragestellung – nämlich die Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie – die Wahl der thematischen Schwerpunkte, wenn etwa bei der Motivkritik ein besonderes Gewicht auf den kosmologischen (und nicht etwa auf den anthropologischen) Motiven liegt (vgl. 84 f.).

Was die Auswahl der Texte und die Anordnung des Materials angeht, so wählt der Vf. statt einer theologiegeschichtlichen (von den älteren bis zu den jüngeren Schöpfungstexten) oder thematischen Anordnung eine kanonische Gliederung. Das ist in den bisherigen Darstellungen immer wieder vertreten worden (s. den Überblick bei B. Janowski, Biblischer Schöpfungsglaube. Religionsgeschichte – Theologie – Ethik, Tübingen 2023, 20 ff.37 ff.). Als Einsatzpunkt wählt der Vf. die beiden Schöpfungstexte der Genesis (Gen 1,1–2,4a und Gen 2,4b–3,24), allerdings ohne die nichtpriesterliche (Gen *6,5–8,22) und die priesterliche Fluterzählung (Gen *6,9–9,17) zu berücksichtigen (89–168). Damit hängt die biblische Urgeschichte mit ihren schöpfungstheologischen Aussagen gleichsam in der Luft, weil erst in den Fluterzählungen das jeweilige Gottes-, Welt- und Menschenbild geklärt wird. In den anschließenden Kapiteln wendet sich der Vf. der prophetischen Schöpfungsrede (169–195: nur Jes 40,12–31, ohne Berücksichtigung der relevanten Texte des Jer-, Ez- und Am-Buchs), der Schöpfungsrede in den Psalmen (196–294: Ps 93; 8; 19; 104; 148, wichtige Texte wie Ps 33 und Ps 136 fehlen dabei!) sowie der Schöpfungsrede in Weisheitstexten und hellenistisch geprägten religiös-belehrenden Texten (295–444: Spr 8,22–31; Hi 28; 38,1–42,6; Sir 16,24–17,14; 42,15–43,33; SapSal 13,1–9; 2Makk 7,28) zu. Ein kurzer Ausblick zum Thema Schöpfung im Neuen Testament (445–453) beschließt die im engeren Sinn exegetische Darstellung.

Wie man sieht, ist die Textauswahl bis auf empfindliche Lücken durchaus repräsentativ. Ergänzt werden die exegetischen Darlegungen durch das ausführliche Kapitel 3 (455–629), das in drei Abschnitten »Moderne weltbildprägende wissenschaftstheoretische und kosmologische Grundparadigmen und Erklärungsmodelle« beschreibt. Trotz mannigfacher Redundanzen gelingt es dem Vf., die anvisierte Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaft(en) und ökologischer Theologie zu profilieren und den Modellcharakter biblischer Schöpfungstexte für eine ökologische Ethik herauszustellen (598 ff., bes. 621 ff.). Vor diesem Hintergrund wäre es reizvoll, das Kompendium des Vf.s und den Entwurf von Chr. Link, Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Gegenüber von Naturwissenschaft und Ökologie, Neukirchen-Vluyn 2012 miteinander zu vergleichen. Und zwar nicht zuletzt auch deswegen, weil beide Autoren Physik und Theologie studiert haben.

Am Schluss fasst der Vf. die Ergebnisse seines Buchs, bei dem bedauerlicherweise Register zu den Bibelstellen und Sachbegriffen fehlen (!), noch einmal übersichtlich zusammen (630–640). Alles in allem lässt sich die Frage nach dem modernen Verhältnis von Naturerkenntnis und Gottesglaube mit dem Vf. positiv beantworten, denn: »Im Rahmen eines [...] ganzheitlichen Weltverhältnisses können biblische Schöpfungstexte für heutige Leserinnen und Leser Anregung und Maßstab dafür sein, wie der Psalmist Naturerkenntnis und -beobachtung zu integrieren (sc. vermag) in ein zutiefst menschliches, dankendes Staunen über die Größe des Kosmos, das Wunder der eigenen Existenz und in die Freude über die bleibende liebende Zuwendung Gottes zu seinen Geschöpfen« (640, mit Zitat von Ps 8,4 f.). Dieses Staunen lässt sich nicht verordnen. Es lässt sich aber erlernen durch das Achten auf den Gabecharakter des Lebens und das Bewusstsein der Gemeinschaft des Lebendigen. Dafür bieten die biblischen Schöpfungstexte, wie das besprochene Buch eindrücklich zeigt, reiches Anschauungsmaterial.