31.08.2023

Wolf Krötke zum Gedenken (1938–2023)

Am 23. Juni 2023 ist unser Kollege Wolf Krötke nach langer, schwerer Krankheit verstorben. Mit ihm verlieren wir einen hochangesehenen Kollegen, der in besonderer Weise die Verbindung der heutigen Fakultät zur Theologischen Hochschule in Ostberlin, dem Sprachenkonvikt in der Borsigstraße, und damit zu einem widerständigen Theologietreiben unter den Bedingungen des »real existierenden Sozialismus« repräsentierte.

Wolf Krötke wurde am 5.10.1938 in Berlinchen (Neumark) geboren. Nach dem Abitur am Philanthropinum in Dessau nahm er das Theologiestudium in Leipzig auf. 1958/9 war er wegen angeblicher »Hetze u. staatsgefährdender Propaganda und Herstellung und Verbreitung von Hetzschriften« im Zuchthaus Waldheim inhaftiert. In der Folge wurde er von der Universität relegiert und setzte sein Studium am Katechetischen Oberseminar in Naumburg und am Sprachenkonvikt in Berlin fort. 1967 wurde er in einem kirchlichen Promotionsverfahren mit einer Arbeit über Karl Barths Lehre vom »Nichtigen« zum Dr. theol. promoviert, war dann als Gemeindepfarrer und seit 1970 als Studentenpfarrer in Halle tätig, bis er 1973 als Dozent an das Sprachenkonvikt in Berlin berufen wurde. 1991 habilitierte er sich und wurde mit der Zusammenlegung der Kirchlichen Hochschulen und der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität 1991 zum Professor an unsere Fakultät berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 2004 Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik lehrte.
Die theologische Arbeit Krötkes war bestimmt von der Theo-logie Karl Barths, die ihn, wie auch das Denken Dietrich Bonhoeffers, zeitlebens begleitete. Krötke brachte Barth auch ins Gespräch mit Martin Luther und der lutherischen Tradition – seine Dissertation zur Deutungskategorie des Nichtigen bei Karl Barth (Sünde und Nichtiges bei Karl Barth) hat ein Seitenstück in der Arbeit zur Deutung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium bei Werner Elert und Paul Althaus – sowie in ein hochdifferenziertes Gespräch mit Friedrich Schleiermacher.

Was Wolf Krötke bei Karl Barth fand, war ein theologischer Ansatz, der die Person Jesu Christi als tragfähigen Grund des Lebens ausweist und der es erlaubt, in diesem Licht die Wirklichkeit des Menschen und die Wirklichkeit der Welt in neuer Weise wahrzunehmen. Die Analogiefähigkeit der Wirklichkeit im Licht der offenbaren Wahrheit Gottes war für Krötke eine Möglichkeit des Umgangs mit dem entschlossenen Atheismus, der ihm im real existierenden Sozialismus entgegentrat, und eine Alternative zu dem Versuch, im Ausgang von einem allgemeinen Religionsbegriff die Rede von Gott anthropologisch zu plausibilisieren. Krötke war dabei kein Vertreter eines begrenzten Offenbarungspositivismus, sondern er betrachtete die Orientierung an der Offenbarung Gottes gerade als den Weg, die Offenheit und den »natürlichen« Transzendenzbezug des menschlichen Lebens in allen Dimensionen wahrzunehmen – natürliche Theologie mit den Mitteln einer Theologie der Offenbarung war sein Programm. Viele der Arbeiten von Wolf Krötke kreisen um dieses Thema der wirklichkeitserschließenden Kraft einer christozentrischen Theologie.

Wolf Krötke hat die Zeit des »real existierenden Sozialismus« durchlebt und ist – bewusst, trotz Inhaftierung und Benachteiligung, trotz deutlich erschwerter wissenschaftlicher Arbeitsmöglichkeiten – in der DDR geblieben. Er hat es als seine Aufgabe betrachtet, in genau diesem vom weltanschaulichen Atheismus geprägten Umfeld das orientierende Potential der christlichen Rede von Gott zur Geltung zu bringen. In vielen Aufsätzen und Vorträgen hat er diese Situation der staatlich geförderten Religionsvergessenheit immer mitreflektiert.

Für seine Studierenden war Krötke ein beeindruckender und begeisternder Lehrer. Die Verbindung einer unbedingten Verpflichtung mit einem Sinn für die Wirklichkeit des Lebens gab vielen späteren Pfarrern die Orientierung, derer sie im kirchlichen Dienst unter schwierigen Bedingungen dringend bedurften. Wolf Krötke hat auch nach seiner Emeritierung immer wieder Seminare und Lektürekurse im Konvikt angeboten und Sommerschulen durchgeführt; er war über viele Jahre hin Vorsitzender des Fördervereins »Konvikt Borsigstr. 5 e.V.« und stand auch auf diese Weise in engem Kontakt mit den Studierenden. Ein wichtiges Anliegen war Krötke die Mitgestaltung und die Mitarbeit an den Internationalen Barth-Tagungen auf dem Leuenberg.

Wolf Krötke war ein Theologe, der – darin ausdrücklich Schleiermacher folgend – das Interesse an der Wissenschaft und das Interesse an der Kirche miteinander verband und so auch in kirchlichen Gremien tätig war: er war Mitglied des Theologischen Ausschusses der UEK und der Theologischen Kammer der EKD; unter den vielen Ehrungen für sein wissenschaftliches Werk sind die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät Tübingen 1976 und der Karl Barth-Preis der UEK (1990) hervorzuheben.

Die Theologische Fakultät verliert nicht nur einen glänzenden Wissenschaftler, sondern auch einen zugewandten, hilfsbereiten, liebenswerten und nicht zuletzt humorvollen Kollegen. So werden wir Wolf Krötke in Erinnerung behalten. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau, seinen Kindern und Enkelkindern. Wir werden ihm immer ein ehrendes Gedenken bewahren.

Prof. Dr. Notger Slenczka
Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin